In Paretz geht es nicht ohne Poesie

von Gabriele Radecke und Robert Rauh

Die Stille war trügerisch. Über die Havelwiesen zog ein schweres Gewitter auf. Fontane hatte Glück. War er doch vor einer halben Stunde trocken in Paretz eingetroffen – im berühmten Landsitz der noch berühmteren Königin Luise. Fontane kam aus Uetz, wo er mit der Fähre über die Wublitz „gezogen“ worden war. Von dort sei der Weg nach Paretz für einen Sommernachmittag „ein entzückender Spaziergang“. Das Unwetter brach los, als er mit dem herbeigerufenen Hofgärtner das Schloss besichtigen wollte. „Ein Windstoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zunächst stehenden Pappeln beugten sich, Blätter, wie Flocken, fielen auf uns nieder, die Chaussee herauf kam eine Wolke von Kies und Staub.“ Die Besichtigung wurde abgebrochen und die Einladung in die Wohnung des Hofgärtners angenommen. Es sei höchste Zeit gewesen. Denn „kaum unter Dach, und das Schauspiel begann: Regen und Feuer fielen vom Himmel nieder“. Fontane erkannte in dem Schauspiel mehr als eine Laune der Natur. „Überall rollen die Donner Gottes und künden, dass kein ewiger Friede sei.“ Nachdem sich das Unwetter verzogen hatte, war es zu spät, den Rückweg nach Berlin anzutreten. Fontane blieb über Nacht. Und spendete Lob für den Hofgärtner: „Wer eingeregnet und eingewittert, möge es immer so gastlich treffen wie wir im Gärtnerhause zu Paretz.“

Luises „Lieblingssitz“: Schloss Paretz, Postkarte, um 1920
Foto: Archiv Rauh

Ein packender Auftakt für das Haveldorf. Aber er ist literarisiert. Man sollte es dem Wanderer nachsehen. In Paretz geht es nicht ohne Poesie. Denn Fontane ist den fünf Kilometer langen Weg von Uetz nach Paretz im Sommer 1869 nicht spaziert, sondern mit der Kutsche gefahren. Und auch das Übernachtungsangebot des Hofgärtners kam nicht spontan, sondern war verabredet. Bleibt das Gewitter. Ob es sich nach Fontanes Ankunft so heftig über Paretz entladen hat, darf ebenfalls bezweifelt werden. Aber die Kriegsmotivik passt zum poetischen Konzept. Die „Glanztage von Paretz“ hätten aufgrund der Napoleonischen Kriege ein jähes Ende gefunden. Preußen war besiegt und Luise, die Königin der Herzen, 1810 überraschend früh gestorben. Zusammen mit Uetz wurde Paretz wieder in havelländische Einsamkeit zurückkatapultiert.

Fontanes Interesse an Paretz reichte in die Anfangsjahre seiner „Wanderungen“-Zeit zurück. Mindestens fünf Mal hat er das Dorf aufgesucht; von zwei Aufenthalten im August 1869 sind Reisenotizen überliefert. Aufgenommen wurde der Ort in den dritten „Wanderungen“-Band, der 1873 zunächst unter dem Titel „Ost-Havelland“ erschien. Für Paretz hatte das keine Folgen. Die zuweilen kolportierte Behauptung, Fontanes Buch hätte einen „nachhaltigen Besucherboom“ ausgelöst, lässt sich nicht belegen. Im Gegenteil: Dorfchronist Carl Hölzel beklagte 1910, dass Paretz seit den glanzvollen Zeiten vor hundert Jahren „in Weltabgeschiedenheit und Stille gesunken“ sei und „nur wenige Freunde“ kämen, „um die geweihten Stätten zu besuchen“.

Lageplan Schloss Paretz: Fontane-Skizze aus dem Notizbuch von 1869
Quelle: Digitale Fontane-Notizbuchedition

Dass Fontane bei seinen Paretz-Aufenthalten beim Hofgärtner Kost und Logis bekam, belegen nicht die Notizbücher, sondern seine Briefe. Fontanes Anfrage löste beim Paretzer Hofgärtner Johann Sulpiz Wilken überschwängliche Freude aus. Fontane wird mit „Ew. Hochwohlgeboren“ angeredet und dürfe selbstverständlich „bei uns übernachten“. Der Wanderer hat in Brandenburg schon weniger komfortabel kampiert. Das Domizil war das erste Haus am Platze – der „Alte Gasthof“, denn in Paretz agierten Hofgärtner und Gastwirt in Personalunion. Das Gebäude, nur etwa 200 Meter vom Schloss entfernt, existiert noch und hat unter dem Namen „Landhaus Luise“ den Komfort für heutige Paretz-Gäste in jeder Hinsicht gesteigert.

„Ew. Hochwohlgeboren“ muss einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Noch immer, schreibt Wilken an Fontane nach dessen erstem Besuch, würden er und seine Frau an die „herrlichen Stunden“ denken und in „tiefer Verehrung“ auf eine Wiederholung hoffen; ihr „sonst stilles und einsames Leben“ könne auf keine angenehmere Weise unterbrochen werden. Fontane hat die Demut des Hofgärtners amüsiert: „Immer der alte, ein Nonplusultra von Artigkeit“, schreibt er drei Jahre später an seine Frau Emilie. Ein Freund nenne ihn jetzt zwar „auch ‚Prinz Fontane‘, aber was will dieser Scherz sagen gegen den blutigen Ernst der Hofgärtner-Devotion“.

Erstes Haus am Platz: Fontanes Übernachtungsquartier im „Alten Gasthof“ (heute: „Landhaus Luise“)
Foto: Robert Rauh

Aber Fontane hat auch vom Hofgärtner profitiert. Er wurde mit Informationen und einem Besichtigungsprogramm versorgt, dessen Höhepunkt eine exklusive Schlossführung war. Nach der Gewitternacht „funkelte die Sonne wie gebadet“ und als sich die Fensterläden des Schlosses öffneten, „schoss das Licht hinein und lief wie ein Blitz durch alle Räume“. Licht mache wohnlich, alles schien bereit, als würde „das schöne königliche Paar, das hier vor siebzig Jahren lebte und lachte, jeden Augenblick wieder seinen Einzug halten“. Auch heute würden Friedrich Wilhelm III. und Luise, die Paretz schon als Kronprinzenpaar zu ihrem Sommersitz erkoren hatten, „die Stätte ihres Glücks wenig verändert finden“.
Was nach kriegsbedingter Plünderung, Enteignung und jahrzehntelanger Nutzung als „Vereinigung Volkseigener Betrieb Tierzucht Paretz“ einem kleinen Wunder gleichkommt. Zurückgekehrt ins Paretzer Schloss-Museum sind nicht nur die in Potsdam ausgelagerten Papiertapeten, sondern auch ein königlicher Nachttopf, der die DDR im temporären Privat-„Besitz“ überdauert hat.

Zurückgekehrt ins Schloss: Königlicher Nachttopf mit den Initialen „FR W / L.P.“ für „Friedrich Wilhelm [III.] / Landsitz Paretz“
Foto: Robert Rauh

Schrittweise wird Luises Sehnsuchtsort rekonstruiert. Erst vor kurzem wurde der Grottenberg eingeweiht. Von dem 1797 am Rand des Schlossgartens künstlich angelegten Hügel kann man einen herrlichen Blick auf die Havelwiesen genießen. Und seit dem „Rückbau“ des grauen und seit Jahren leerstehenden VBB-Bürogebäudes, das keinen Denkmalwert besitzt, hat man auch wieder einen freien Blick auf die Gartenfront des Schlosses.

Höhepunkt des Paretzer Schlossgartens: der Grottenberg
Foto: Robert Rauh

„Rückbau“ klingt im Sprech der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die auch Paretz verwaltet, natürlich besser als „Abriss“. Bald erinnert nichts mehr an sozialistische Zeiten, in denen die Hohenzollern-Residenz zweckentfremdet und verschandelt wurde. Die Tilgung ist total. Wie in Schloss Rheinsberg blieb nicht ein Raum erhalten, in dem sich dieser Teil der Geschichte besichtigen lässt. Dass eine Integration verschiedener Epochen unter einem Schlossdach möglich ist, zeigt Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow, wo im übrigen Luises Schwester Friederike nach ihrer unglücklichen Ehe einige Sommer verbracht hatte.


Quelle

  • Gabriele Radecke und Robert Rauh: Wandern mit Fontane – in Paretz geht es nicht ohne Poesie; in: Tagesspiegel vom 4.5.2023

Titelbild

  • Hinter Pappeln: Luises Sehnsuchtsort Schloss Paretz, 2022, Foto: Jonas Becker

Literatur

  • Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 3: Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg, hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau, Große Brandenburger Ausgabe. 2. Aufl., Aufbau-Verlag, Berlin 1994.
  • Königin Luise von Preußen. Briefe und Aufzeichnungen 1786–1810, hrsg. von Malve Gräfin Rothkirch. Deutscher Kunstverlag, München 1985.
  • Marr, Matthias: Paretz, hrsg. vom Freundeskreis Schlösser und Gärten der Mark (in der Deutschen Gesellschaft e.V.). 2. verb. Aufl., Berlin o.J.
  • Marr, Matthias: Schloss Paretz mit Dorf und Kirche, hrsg. von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Deutscher Kunstverlag, Berlin, München 2018.
  • Paretzer Skizzenbuch, hrsg. von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2010.
  • Radecke, Gabriele/Rauh, Robert: Theodor Fontane: Wundersame Frauen. Weibliche Lebensbilder aus den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Manesse Verlag, München 2019.
  • Radecke, Gabriele/Rauh, Robert: Fontanes Havelland, BeBra Verlag, Berlin 2024 [Paretz S. 50–80].
  • Schloss Paretz. Die königlichen Wohnräume. Das Inventar von 1810 und 2002. 2. Aufl., Ketzin 2008.
  • Schochow, Werner: Friedrich Wilken (1777–1840); in: Mitteilungen. Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz. Bd. 22. Berlin 1990, S. 165–168.

Weblinks

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