Fontane war nie in Ribbeck!?

von Gabriele Radecke und Robert Rauh

„Natürlich war Fontane in Ribbeck!“ Ungeduldig unterbricht der Reiseleiter das Gemurmel der Gruppe, der er gerade die drehbare Fontane-Installation vor dem Schloss gezeigt hat. Dabei schüttelt er verständnislos den Kopf, den er unter einen schwarzen Zylinder gepresst hat. „Machen Sie mir die Leute hier nicht närrisch.“ Gemeint sind nicht wir, sondern ein älterer Herr, der sich der Führung spontan angeschlossen und mit seiner laut geäußerten Feststellung, Fontane sei nie in Ribbeck gewesen, offenbar ein Sakrileg begangen hat. Die Touristen aus Hamburg, die sich auf die Spuren Fontanes begeben haben, sind dennoch irritiert. Schließlich ist bis jetzt alles nach Plan verlaufen. Sie haben eine Broschüre mit allen FONTANE.RAD-Etappen gekauft, einen Reiseleiter engagiert, der sich mit Fontane auskennt, und Apostel Petrus um schönes Wetter gebeten. Es sollte sein. Die Räder laufen wie geschmiert, die Wege sind tatsächlich ausgeschildert und der Reiseleiter zitiert Fontane-Sprüche aus dem Kopf. Nur die Sonne brennt etwas zu heftig vom wolkenlosen Himmel. Die Birnen in Ribbeck sind längst überreif.

Die Radroute erschließe „Fontanes biografische und literarische Spuren im Havelland und im Ruppiner Seenland“, heißt es in der Werbung. Der Weg führe „an jene Orte und Landschaften, die ihm für sein Hauptwerk ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg‘ als reale Vorlage für Handlung und Personen dienten“. Effi Briest ist überall. Die „ausgewiesene Strecke“ hat es in sich: Von Oranienburg über Neuruppin und Ribbeck bis Potsdam ist sie knapp 300 Kilometer lang. Die Wanderungen muss man vorher nicht gelesen haben. Überall stehen Hinweistafeln, auf denen alles Wissenswerte häppchenweise zusammengefasst ist. Auf ihnen wird auch Fontanes Frau Emilie zitiert, die nachweislich nie mitgewandert ist, sondern „nur“ die unleserlichen Manuskripte ihres Mannes abgeschrieben hat.

Höhepunkte der Strecke sind Orte wie Plaue und Petzow direkt an der Havel, deren Flussverlauf auf der Website als „der Amazonas der Mark“ bezeichnet wird, und natürlich die Fontane-Führung in Ribbeck. Ein Ort, den nun wirklich jeder kennt. Genauer gesagt: die Ballade mit dem rhythmisch-einprägsamen Titel Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Teure Handschrift: Manuskript von Fontanes berühmtestem Gedicht „Herr von Ribbeck“ wurde 2007 für 130.000 Euro versteigert / Quelle: Stargardt

Der Reiseleiter, der sich von den ortsansässigen Fontane-Führern abgeschaut hat, wie sich mithilfe eines Kostüms die Entstehungszeit der Ballade gestalterisch umsetzen lässt, ordnet den Text gerade in den literaturhistorischen Kontext ein: „Ohne Havelland kein Ribbeck. Ohne Ribbeck kein Fontane.“ Dann setzt er an, das Gedicht zu rezitieren. Er stockt schon nach dem ersten Vers „Ein Birnbaum in seinem Garten stand“, weil der ältere Herr sich wieder einmischt. Seine Bemerkung „Die Betonung liegt auf ‚stand‘“ reicht aus, um den Kostümierten aus dem Konzept zu bringen. „Es musste ein neuer gepflanzt werden, weil Fontanes Birnbaum 1911 einem Sturm zum Opfer fiel“, erklärt er schnell und liefert damit gleich die nächste Steilvorlage.

„Fontanes Birnbaum?“, fragt nun eine Frau aus Blankenese, die mit ihrer Schwester die Radtour meistert. „Dazu kommen wir später“, sagt der Reiseleiter und möchte seine Rezitation fortsetzen. „Nee, nicht Fontanes Birnbaum“, beantwortet der ältere Herr die Frage und setzt noch einmal nach: „Denn Fontane war ja nicht in Ribbeck.“ „Sie sind wohl Experte!?“, versucht der Leiter es jetzt mit Humor. „Nee, ich habe die Wanderungen gelesen“, antwortet der Herr und grinst. „Wo ist denn nun der Birnbaum?“, fragt die Frau aus Blankenese. Die Fontane-Führung durch Ribbeck droht aus dem Ruder zu laufen.

Dabei könnte alles so schön sein. Es ist „goldene Herbsteszeit“ und Ribbeck leuchtet „weit und breit“ wie die Früchte in Fontanes Birnbaum-Ballade. Das pittoreske Dorfensemble ist ein Eldorado für Fontane-Fans. Es gibt szenische Führungen wahlweise mit Schauspielern oder Marionetten, ein Fontane-Museum und jede Menge Birnen. Im Café Alte Schule werden kreative Birnenspezialitäten wie Torte Birne Helene angeboten und im Schloss-Museum werden die Besucher von einer überdimensionalen, begehbaren Birne begrüßt. Eine Tafel erklärt: „Sie ist das kulturelle Sinnbild von Schloss Ribbeck.“

Kulturelles Sinnbild: Begehbare Birne im Schloss Ribbeck / Foto: Robert Rauh

Mit einem Eisenring gesichert: Der legendäre Baumstumpf in der Kirche von Ribbeck
Foto: Robert Rauh

Von kulturellen Sinnbildern könnte Schloss Ribbeck viel erzählen. Nachdem es 1945 enteignet worden war, zog ab 1954 ein sozialistisches Pflegeheim ein. Auf einem großen Schild vor dem Schloss wurde an die Mitarbeiter die Parole ausgegeben: „Gesundheit und Lebensfreude – unser humanistisches Ziel!“ Jetzt werben die Schlossfestspiele Ribbeck auf einem bunten Plakat am Schlosszaun – mit „Ladies Night“, neben einem Schild „Frisch. Lecker. Spargel“, das man wohl vergessen hat abzunehmen.

Der Hamburger Reiseleiter hat es aufgegeben, seiner Gruppe das Gedicht vorzutragen, und sie in die Kirche geführt, damit sie die Ribbecker Reliquie bestaunen können: „das Original-Teil des Birnbaums“. Ein Baumstumpf, der mit einem Eisenring zusammengehalten werden muss. Im Blitzlichtgewitter strahlt der eingewachste Stumpf wie die Birnen an den Ästen seines Nachfolgers.

Auf dem 1893 angelegten Familienfriedhof der Familie von Ribbeck ist der ältere Herr nicht mehr dabei; der Reiseleiter hat seine Gruppe aber nur für kurze Zeit im Griff. Denn die Schwestern aus Blankenese möchten über die lebenden Ribbecks sprechen, von denen einer wieder im Dorf wohnen soll. Die Gruppe ruft „Ach!“ und ein Teilnehmer, der bisher alles schweigend über sich ergehen lassen hat, wirft in die Runde, man könne doch den Nachfahren fragen, ob Fontane in Ribbeck war. Der Vorschlag findet in der Gruppe keine Mehrheit.

Friedhof der Familie von Ribbeck / Foto: Robert Rauh

Wir müssen an Friedrich-Carl von Ribbeck denken, einen Ur-Urenkel des Fontane-Ribbecks, mit dem wir vorhin einen Interviewtermin hatten. Das Bestreben seiner Familie, das 1945 enteignete Gut nach der Wiedervereinigung zurückzubekommen, ließ sich auch gerichtlich nicht durchsetzen. Nach einem Vergleich entschied sich der heute über achtzigjährige Friedrich-Carl, die alte Brennerei und den verfallenen Kutschpferdestall zurückzukaufen. Das Schloss blieb im Besitz des Landkreises. Heute sei es „schöner denn je“. Darüber freue er sich. Und er freue sich, die Heizkosten im sechsstelligen Bereich nicht zahlen zu müssen. Stattdessen produziere er „aus dem Hause von Ribbeck“ edle Brände und Liköre – und Birnenessig. Irgendwann stellen wir die Frage aller Fragen: War Fontane in Ribbeck? Der adlige Nachfahre antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Natürlich war er das!“ Er verzieht keine Miene. „Und wenn einer nachfragt?“ „Es fragt keiner nach“, sagt Friedrich-Carl von Ribbeck und grinst jetzt doch. Weil wir nicht reagieren, setzt er nach: „Die Leute wollen belogen werden.“

Mit Friedrich-Carl von Ribbeck in der Brennerei, 2022 / Foto: Robert Rauh

Der Reiseleiter aus Hamburg hat inzwischen auch eine Antwort gefunden. Während sich die Gruppe den „Deutschen Birnengarten“ hinter dem Schloss angesehen hat, in dem jedes Bundesland einen Birnbaum gepflanzt hat, nutzte er die Zeit zum Googeln. Jetzt berichtet er der Gruppe, dass inzwischen die entzifferten Notizbücher Fontanes im Internet einsehbar sind. Ganz sicher werde sich dort der entscheidende Hinweis auf einen Besuch in Ribbeck finden. Selbst die beiden Schwestern aus Blankenese geben sich damit zufrieden. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Traumhafte Kulisse für allerlei Geschichten: Schloss Ribbeck bei Nacht / Foto: Robert Rauh

Quelle

  • Gabriele Radecke/Robert Rauh: Fontanes Havelland, BeBra Verlag, Berlin 2023, S. 251–254.

Titelbild

  • Fontane-Installation vor dem Schloss Ribbeck / Foto: Robert Rauh

Weblinks

  • Fontane-Museum im Schloss Ribbeck: Konzept und Öffnungszeiten 
  • Friedrich von Ribbeck: Offizielle Website 
  • Auf Marschbefehl meiner Ahnen; in: Maria Schellhorn, Heimat verpflichtet. Märkische Adlige – eine Bilanz nach 20 Jahren, Begleitbuch zur Ausstellung, Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, 2. Auflage, Potsdam 2014 
  • Dieter Weirauch: Auf Entdeckungstour in Ribbeck im Havelland, Blog-Beitrag (2019): einfach raus 
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