Veröffentlicht von Gabriele Radecke und Robert Rauh.
Einigen Fontane-Orten war 2019 nicht zum Feiern zu Mute. Während überall in Brandenburg mit zahllosen Veranstaltungen an den 200. Geburtstag des Schriftstellers Theodor Fontane (1819–1898) erinnert wurde, mussten sie eine Hiobsbotschaft verkraften: Fontane hat ihrem Ort keinen Besuch abgestattet. Besonders bitter ist die Nachricht für die Gemeinden, denen Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ein eigenes Kapitel widmete. In Strausberg ist es genau andersherum. Die Stadt, die heute im Landkreis Märkisch-Oderland liegt, wird in den „Wanderungen“ nicht beschrieben – Fontane war aber dort. Aus Fontanes Briefen war bisher nur bekannt, dass der Wanderer auch nach Strausberg reiste. Dass er tatsächlich vor Ort recherchierte, belegen jedoch erst seine Notizbücher.
Der Beweis: Strausberg in Fontanes Notizbuch, 1863.
Quelle: Digitale Notizbuchedition.
Strausberger Notizen
Die Aufzeichnungen über Strausberg finden sich im Notizbuch A6, auf dessen Cover neben Kunersdorf, Gielsdorf und Wilkendorf auch Strausberg selbst vermerkt ist. Dass die Notizen vor Ort entstanden, beweisen die Bleistifteinträge, das unruhige Schriftbild sowie eine Skizze. Sie konzentrieren sich auf den Innenraum der Marienkirche mit dem „vielpuppigen Bilder-Altar“, der „ganz apparten alten Gewölbe-Decke“, den „sehr nett gemachten Kinder-Grabsteinen“ und den Grabstein für den Pfarrer und brandenburgischen Geschichtsschreiber Andreas Angelus.
Seine „Strausberger Reise“, die Fontane auch zu anderen Orten führen sollte, diente der Vorbereitung für seinen zweiten „Wanderungen“-Band „Oderland“, der Ende 1863 erschienen ist. Die Reise für das letzte Kapitel des Bandes („Das Pfulen-Land“) hatte er zusammen mit seinem Verleger Wilhelm Hertz vor, der ihm den Ausflug finanzieren sollte.
„Vielpuppiger Bilderaltar“: Marienkirche Strausberg.
Quelle: Robert Rauh
Bereits Fontanes Reiseplan, den er Hertz am 18. September 1863 unterbreitete, verdeutlicht, dass Strausberg kein Kapitel in den „Wanderungen“ zu erwarten hatte. Denn der Ort sollte lediglich als Verkehrsknotenpunkt dienen. Doch aus der gemeinsamen „Strausberger Reise“ wurde nichts, weil Hertz verhindert war. Stattdessen brach Fontane am 29. September allein nach Strausberg auf, übernachtete dort, besichtigte am nächsten Tag die Kirche und fuhr weiter nach Wilkendorf und Gielsdorf. Die beiden Dörfer erhielten im „Oderland“-Abschnitt eigene Kapitel, weil sie zu den Besitztümern der Familie von Pfuel gehörten. Und Strausberg nicht.
Blick auf Strausberg, Postkarte ca. 1920.
Quelle: Archiv Rauh
„4bändiges Parallelwerk“
Die Recherche-Ergebnisse aus Strausberg verschwanden zunächst in Fontanes Schublade, aber nicht aus seinem Gedächtnis. Denn 1883, also zwanzig Jahre später, plante er ein „4bändiges Parallelwerk“ zu seinen „Wanderungen“ – unter dem Titel „Geschichten aus Mark Brandenburg“. Darin sollte Strausberg endlich einen eigenen Abschnitt erhalten. Realisiert wurde das neue Brandenburg-Projekt nicht mehr, weil sich Fontane stattdessen seinen Romanen widmete. Erhalten geblieben sind nur zahlreiche Vorarbeiten, zu denen auch die Notizbuchaufzeichnungen über Strausberg gehören.