Unter Plaues ewig blauem Himmel

von Gabriele Radecke und Robert Rauh

Irgendwann haben sie nicht mehr darüber geredet, sondern es einfach getan. Sie tauchten in die Havel, um das „weiße Porzellan“ zu finden. Von der sonnigen Schlossterrasse stiegen Udo und seine Freunde über die Uferböschung ins kalte Wasser. Wie alle Plauer Kinder hatten sie in der Grundschule gelernt, dass es in früherer Zeit gute und einen richtigen bösen Schlossbesitzer gab. Der böse, Heinrich Wilhelm von Anhalt, der 1765 Gutsherr von Plaue wurde, hat alles beseitigt, was von seinen Vorgängern stammte, derer von Görnes, also den guten Schlossbesitzern. Dabei ging der Anhaltiner ziemlich rabiat vor. „Was sich noch von Erzeugnissen der von Görneschen Porzellanmanufaktur im Schlosse befand, ward zum Beispiel in die Havel geworfen.“ So steht es bei Fontane. Und so hat es die Lehrerin den Grundschülern wiedererzählt. Furchtlos tauchten die Freunde in die Havelfluten und fanden – nichts. Jedenfalls kein Porzellan.

Fand als Junge kein Porzellan in der Havel: Udo Geiseler, heute Ortsvorsteher von Plaue, vor der Havelbrücke, 2023
Foto: Heike Schulze/MAZ

Plaue sucht man in den „Wanderungen“ vergeblich

Das war im Frühsommer 1975; Udo war neun Jahre alt. Groß kann seine Enttäuschung über die erfolglose Expedition nicht gewesen sein. Denn der Junge begann, sich für die Geschichte des in der DDR weitgehend abgeriegelten Schlosses zu interessieren. Und wer sich mit dem einstigen Adelssitz beschäftigt, kommt an dem märkischen Wanderer nicht vorbei. Fontane und das Schloss seien, sagt Udo Geiseler, „ein Stück Identität“. Inzwischen ist er selbst Geschichtslehrer und gilt weit über die Grenzen Plaues hinweg als der Schlossexperte. In diesem Jahr kommt alles zusammen. Als Chef des Historischen Verein Brandenburgs organisiert er am Sonntag [23. April 2023] eine Veranstaltung im Schloss zu Theodor Fontanes „Wanderungen“-Band über das Havelland, der vor 150 Jahre erstmals erschienen ist.

Allerdings hat die Jubiläumsfeier einen Haken. In dem Band sucht man Plaue vergeblich. Dabei hat das Havelstädtchen einiges zu bieten, wonach sich andere Fontane-Orte sehnen: einen malerisch gelegenen Adelssitz an der Havel, dem Fontane bescheinigte, „wirklich ein Schloss“ zu sein, einen professionell angelegten Fontaneweg und die Gewissheit, dass der König der Wanderer tatsächlich vor Ort war. Aber alles strömt nach Neuruppin, wo man Fontanes Geburtshaus nicht besichtigen kann, und nach Ribbeck, wo Fontane nie war.

Schloss Plaue, Lithografie um 1860
Quelle: Sammlung Alexander Duncker

Schloss Plaue, 2023
Foto: Wolfgang Lorenz

Dass Plaue ein eigenes Kapitel erhalten sollte, verrät eine Gliederung für den „Havelland“-Band in Fontanes Notizbuch von 1869. Als das Buch 1873 – zunächst unter dem Titel „Ost-Havelland“ – erschien, fehlte Plaue jedoch. Die Enttäuschung sollte sich in Grenzen halten. Fontane hatte die kleine Stadt an der Havel längst für Höheres vorgesehen. Nach dem Abschluss der vierteiligen „Wanderungen“ plante er einen Band über märkische Herrensitze, der postum inkorrekt zu den „Wanderungen“ gezählt wird. Mit dem Buch „Fünf Schlösser“ von 1889 wollte sich Fontane als Autor profilieren, der „vorhandene Lücken“ in der „Kulturhistorie“ schließt. Die Adelssitze dienten ihm als topografischer Zugriff für eine „fünf Jahrhunderte“ währende Geschichte der Mark Brandenburg.

Fontane sei kein Historiker

Udo Geiseler, inzwischen auch Ortsvorsteher von Plaue, ist stolz darauf, dass Fontane seiner Gemeinde ein Kapitel gewidmet hat. Aber auf dem Gebiet der Historie begegne er dem großen Meister „mit freundlicher Skepsis“. Fontane sei eben kein Historiker, sondern in erster Linie Dichter. Weshalb Geiseler in seiner Schloss-Geschichte nicht zitiert, was Fontane erzählt: Dass Zar Peter der Große auf seiner zweiten Europareise in Plaue Station gemacht habe und „auf dem Schloss über Nacht“ geblieben sei. Der russische Fürst soll sich für das Porzellan des Plauer Gutsherrn Friedrich von Görne, des guten Schlossbesitzers, interessiert haben. Einen Beleg für den Zarenbesuch in Plaue, so Geiseler, gäbe es allerdings nicht.

Aber für das Porzellan. Als Görne den Besitz 1711 übernommen hatte, baute er das im Dreißigjährigen Krieg zerstörte Schloss um. Es entstand „ein ansehnliches Hauptgebäude mit zwei Seitenflügeln“ (Fontane) – das heutige Schloss Plaue. Für den Ort startete Görne ein Investitionsprogramm, das auch die Gründung einer Porzellanmanufaktur umfasste. Die Erzeugnisse der „Porcellain Fabrique“, deren Werkstätten sich im Schloss befanden, machten sogar dem Meißner Porzellan Konkurrenz. Das weiße Gold aus Plaue besaß offenbar magische Anziehungskraft – für die Kleinen wie die Großen. Ob die Keramik später in der Havel landete, ist nicht bekannt.

„Schloss Plaue a/H. Der alte Wiesike“, Fontanes Notizbuch A16, Cover, 1875
Quelle: Digitale Notizbuchedition

Schloss Plaue, Fontanes Skizze, Notizbuch A16, 1875
Quelle: Digitale Notizbuchedition

Plaue in Fontanes Notizbuch

Belegt ist dagegen Fontanes Aufenthalt im Schloss. In seinem Notizbuch skizzierte er die Havelfront, fertigte mehrere Lagepläne an, inventarisierte die Gemälde und notierte, was er in den „Wanderungen“ später nicht übernehmen sollte: „Das ganze Schloss ist vollgestopft mit Bildern […] darunter ist manches Hübsches, aber nichts[,] was über das Herkömmliche hinauswüchse“. Kost und Logis erhielt er in einer Villa, „Schloss Plaue gegenüber“. Zwischen 1874 und 1880 besuchte er mindestens acht Mal den Geschäftsmann und Schopenhauer-Enthusiasten Carl Ferdinand Wiesike. Philosophieren und Weingenuss – alles geschah im Freien, schrieb er 1875 einem Freund, „unter Plaues ewig blauem Himmel“.

Verfällt: Villa Wiesike, 2015
Foto: Robert Rauh

Heute harrt die verfallene Villa der Restaurierung. Wie das Schloss. Plünderung, Besetzung und Enteignung in der Nachkriegszeit sowie die Nutzung als Sprachen-Institut in der DDR haben von der barocken Ausstattung nichts übrig gelassen. Stattdessen besticht der Barockbau durch seinen morbiden Charme: außen die graue Rauputzfassade und innen roh verputzte Wände. Andreas Keuchel von der Betreibergesellschaft „Schloss Plaue GmbH“ kümmert sich seit über zehn Jahren um einen „stufenweisen Ausbau“. Die Gäste schätzen das im Werden befindliche Ambiente – und mieten das Schloss, das auch Übernachtungen im Hausboot auf der Havel anbietet, vor allem für Hochzeiten.

Für Geschichte ist gesorgt: Hinweisschild für den Plauer Fontaneweg
Foto: Robert Rauh

Plauer Fontaneweg

Auch für Geschichte ist gesorgt. Direkt vor dem Schloss beginnt der Fontaneweg, der 2015 vom Schlossparkvereins-Chef Gunter Dörhöfer neu eröffnet wurde. Vor Ort oder virtuell gelangen Interessierte zu den Schauplätzen in Plaue, die Fontane beschrieben hat. Zu ihnen gehört die Pfarrkirche, die mit ihren Ausstattungsstücken aus verschiedenen Umbauphasen beeindruckt. Für die romanischen Wandmalereien aus der Zeit um 1400 kletterte Fontane durch ein Loch in der Gewölbedecke auf den Dachboden. Alles ist noch erhalten: Fontanes Skizzen, die Malereien – und das verdächtig kleine Loch für den Aufstieg.

„Zunächst scheint nichts da“, notierte Fontane zum Abschluss seines Plaue-Besuches 1875, „forscht man aber, so findet man eine Menge Dinge, die das Bild wieder beleben“. Die Dinge findet man vor Ort – und bei Fontane.

Zurückgewandert: Fontane-Denkmal im Schlosspark Plaue von Dirk Harms, eingeweiht 2011
Foto: Robert Rauh

 


Quelle


Titelbild

  • Das graue Haus am Fluss: Schloss Plaue, 2015, Foto: Robert Rauh

Literatur

  • Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Band 5. Fünf Schlösser, hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau, Aufbau-Verlag, Berlin 1994.
  • Nachruf auf Carl Ferdinand Wiesike von Theodor Fontane; in: Vossische Zeitung, 15. Oktober 1880.
  • Fontanes Plaue. Mit Originaltexten von Theodor Fontane zu Plaue a. d. Havel, begleitenden Illustr. u. erl. Beitr., hrsg. von Gunter Dörhöfer und Annette Geiseler, Förderverein Schlosspark Plaue e.V. im Selbstverlag, Köln 2010.
  • Udo Geiseler: Schloss Plaue; in: Schlösser und Gärten der Mark. Heft 131, hrsg. von Sibylle Badstübner-Gröger, Berlin 2013.
  • Erik Lorenz/Robert Rauh: Plaue. Das morbide Schloss; in: dies.: Fontanes Fünf Schlösser. Alte und neue Geschichten aus der Mark Brandenburg, be.bra Verlag, Berlin 2017, S. 132–179.

Weblinks

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