Sehnsuchtsort: Kloster Chorin feiert 750.

Veröffentlicht von Gabriele Radecke und Robert Rauh.

Für das Klosterjubiläum ist Fontane gänzlich ungeeignet. Während er andernorts als Kronzeuge für den märkischen Tourismus gilt, kommt der wandernde Dichter in Chorin als Marketing-Botschafter nicht in Frage. Sein Urteil ist alles andere als eine Reiseempfehlung: Das Kloster sei, schreibt er in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, „keine jener lieblichen Ruinen, darin sich’s träumt wie auf einem Frühlingskirchhof, wenn die Gräber in Blumen stehen“. Dem alten Gemäuer gehe das „eigentlich Malerische ab“ und das Innere sei „sang- und klanglose Öde“. Das Kloster gestatte „kein Verweilen“. Kurzum: Chorin mangle es an Poesie.

Zu kalt, zu krank

Immer wieder wurde gerätselt, warum Fontane ausgerechnet mit Chorin so hart ins Gericht ging. Schließlich war das Kloster schon lange vor Fontanes Besuch zum Sehnsuchtsort geworden. Und hatte die preußischen Star-Architekten auf den Plan gerufen, sich für dessen Restaurierung einzusetzen. Allen voran Karl Friedrich Schinkel, den Fontane „unter allen bedeutenden Männern, die Ruppin, Stadt wie Grafschaft, hervorgebrachthabe, für den herausragendsten hielt.

Um eine Antwort zu finden, muss man zurück ins 19. Jahrhundert – als Fontane am 1. November 1863 aufbrach, um das Kloster zu besichtigen. Es war kalt und der Wanderer kränkelte. Er stecke, schrieb Fontane wenige Tage vor seiner „Chorin-Partie“ seinem Verleger Wilhelm Hertz, „tief in den dumpfen, bedrückenden Vorstadien eines Schnupfenfiebers“. Im Kloster selbst schritt Fontane dann „auf dem harten Schuttboden hin wie auf einer Tenne, über die der Wind fegte.“ Und ergänzte kurz und knapp: „Alles leer.“ Inspiriert hat ihn diese Klosterruine jedenfalls nicht. Aber lag es an der Jahreszeit?

Im Oktober hatte er bereits das benachbarte Kloster Lehnin besichtigt und war zu einem völlig anderen Fazit gelangt. Zwar empfand er den Aufenthalt im Innern der Klosterkirche ebenso öde und freudlos, aber „draußen haben wir die ganze Poesie des Verfalls, den alten Zauber, der überall da waltet, wo die ewig junge Natur das zerbröckelte Menschenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt“. Von einer solchen fontanistischen Schwärmerei kann Chorin nur träumen.

Schweine im Kloster

Die Suche nach einer Erklärung für Fontanes Verdikt führt zu einem weiteren Defizit. Der Dichter vermisste in Chorin nicht nur „die stille Führerschaft von Sage und Geschichte“, sondern auch einen Ansprechpartner vor Ort. Ob er sich – wie bei den anderen Schauplätzen seiner „Wanderungen“ – erfolglos um einen Kontakt bemüht hatte, ist nicht bekannt. Fontane hätte vermutlich etwas über die jahrzehntelangen Bestrebungen um den Erhalt des Klosters erfahren. Und dass Chorin schon zu seiner Zeit als Backsteinwunder galt. Nichts davon steht in Fontanes Chorin-Kapitel der „Wanderungen“. Auch kein Wort über Schinkel.

Preußens oberster Baumeister, der Chorin spätestens ab 1810 regelmäßig aufsuchte, war entsetzt über den Zustand der Klosteranlage, die seit knapp dreihundert Jahren landwirtschaftlich genutzt wurde. In der Kirche wurden Schweine und im Brauhaus Pferde gehalten, die Sakristei diente als Remise. Im Dezember 1816 verfasste Schinkel ein Schreiben an die „General-Verwaltung des königlichen Finanzministeriums“, um auf „die bedeutenden Überreste alter Klostergebäude“ als Muster „altdeutscher Baukunst“ aufmerksam zu machen. „Alle sind zu ökonomischen Zwecken eingerichtet worden“, beklagte Schinkel. So sei „die schöne große Kirche, welche leider ihr Gewölbe schon verloren hat, vor mehreren Jahren mit einem neuen Dach versehen und zur Scheune und zum Holzgelass eingerichtet“ worden. Daher müsse die königliche Regierung veranlassen, „dass dem Amtsmann zu Chorin die Erhaltung aller alten zum Kloster gehörigen Gebäude zur Pflicht gemacht werde“.

Der Retter Chorins

Mit seinem eindringlichen Appell wurde Schinkel von Amts wegen zum Retter von Kloster Chorin. Aber ihm ging es um mehr. Am Ende seines Schreibens forderte er das Engagement der Baumeister in den Provinzen, „damit wenigstens willkürliches Einreißen und Verbauen dieser Alterthümer vermieden und dem Lande der schöne Schmuck solcher Denkmäler erhalten werde“. […]

Ansicht des Klosters Chorin, nordwärts vom Felde, Zeichnung von Karl Friedrich Schinkel, um 1816;
Quelle: Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

Das Gesuch hatte Erfolg: In ihrer Antwort setzte die königliche Regierung zwei Monate später ausdrücklich fest, die Erhaltung Chorins zur „besonderen Pflicht“ zu machen. Schinkels Schreiben bewirkte, so die Kunsthistorikerin und Klosterchefin Franziska Siedler, „die erste staatliche Regelung zur Denkmalpflege in Preußen überhaupt“. […]

Obwohl die Klosterruine den Status eines „Denkmals altnationaler Geschichte“ erhielt, kam die notwendige Instandsetzung nur langsam in Gang. Immer wieder haperte es an der Finanzierung. Und ein Ende der Tierhaltung wurde nur mit staatlicher Gewalt erreicht. Nachdem der Pächter der Aufforderung, den Schweinestall in der Klosterkirche aufzulösen, nicht nachgekommen war, rückte im August 1817 die Polizei an.

[…]

Fontane contra Denkmalschutz

Dass Fontane jedoch über die denkmalpflegerischen Aktivitäten sehr wohl im Bilde war, verrät die Druckgeschichte seines Chorin-Aufsatzes. Zunächst erschien er 1867 in einer Zeitschrift und wurde erst 1880 in die zweite Auflage des „Havelland“-Bandes aufgenommen. Allerdings gekürzt. Die nicht übernommene Passage des Zeitschriftendrucks beantwortet endlich auch die Frage, warum Fontane Kloster Chorin jegliche Poesie abspricht.

Der Erstdruck des dreiteiligen Aufsatzes „Kloster Chorin“ in einer Zeitschrift von 1867
Quelle: Wochenblatt der Johanniter-Ordens-Balley Brandenburg, Nr. 39 vom 25. September 1867

Es sei „eine ordnende Hand über das Ganze hingegangen, die es mit der Erhaltung dieser Ruine wohlgemeint hat, aber nicht so mit der Poesie derselben“. Den Zauber Chorins hat also der Denkmalschutz zerstört. Fontane setzte noch eins drauf. Man komme „in Versuchung, die alten Tage der Verwüstung zurück zu wünschen, wo im hohen Chor die Ziegenställe des Pächters waren und die Schafe das Gras von den Grabsteinen der Askanier nagten“. Schinkel hat die Haustiere vertrieben, Fontane wollte sie zurückholen. Vermutlich muss die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ihr postumes Angebot, „Fontane hätte für unser Magazin ‚Monumente‘ schreiben können“ noch einmal überdenken. „Monumente“ präsentierte im Fontanejahr 2019 als erstes Beispiel für die vom Wanderer besuchten Denkmale, welche die Stiftung unterstützt, ausgerechnet Kloster Chorin – mit der etwas irreführenden Bildunterschrift: „Fontane war begeistert von dem prächtigen Bau.“

Kurz nach der Veröffentlichung des Chorin-Aufsatzes in den „Wanderungen“ nahm die Rettung des Klosters noch einmal Fahrt auf. Kunsthistoriker und Denkmalpfleger initiierten mit Unterstützung der königlichen Familie von 1883 bis 1892 eine erste große Sanierungskampagne. Die wichtigste Maßnahme war die Instandsetzung der Dächer. Ungeachtet dessen hatte sich längst gezeigt, dass sich die Restaurierung von Kloster Chorin zu einem Jahrhundertprojekt ausweitete, das im 20. Jahrhundert fortgesetzt wurde. […]

Kloster Chorin, 1914
Quelle: Berliner Zeitung

Die Restaurierung dauert bis in die Gegenwart an. Erst 2009 wurde die Sanierung des Infirmariums abgeschlossen. In dem ehemaligen Kranken- und Sterbehaus der Mönche wird am 18. Juni [2022] die neue Ausstellung zum 750. Jubiläum eröffnet. […]

Nachtrag: Inzwischen ist die neue Ausstellung eröffnet. Fontane spielt keine Rolle.

Festivalstimmung im Kloster: Katholischer Chorintag, 22. Mai 2022
Foto: Robert Rauh

Quelle:

Berliner Zeitung vom 16.6.2022 (Auszug)
https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/sehnsuchtsort-von-fontane-verachtet-das-geheimnis-des-klosters-chorin-li.236247

Titelbild:

Kloster Chorin, 2022
Foto: Robert Rauh

Quellen:

[Erstdruck in Zeitschrift]Theodor Fontane, Kloster Chorin; in: Wochenblatt der Johanniter-Ordens-Balley Brandenburg, Nr. 37–39 vom 11., 17. und 25. September 1867

[Buchausgabe]Theodor Fontane, Havelland. Die Landschft um Spandau, Potsdam, Brandenburg. (Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Dritter Theil), 3. Auflage («Wohlfeile Ausgabe»), Verlag von Wilhelm Hertz, Berlin 1892.
Kapitel «Die Wenden und die Colonisation der Mark durch die Zistercienser», Unterkapitel: «Kloster Chorin», S. 82–94.

Theodor Fontane, Notizbücher. Digitale Edition, hrsg. von Gabriele Radecke. Göttingen 2015 ff. [A 14, Pehlitzer Werder]. https://fontane-nb.dariah.eu/index.html

Literatur:

Schinkel in Chorin. Die Mark Brandenburg. Zeitschrift für die Mark und das Land Brandenburg, Die Mark Brandenburg – Verlag für Regional- und Zeitschichte, Berlin 2019.

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