Die Rückkehr der Julie von Voß

von Gabriele Radecke und Robert Rauh.

„Welch ein Tag des Unglücks!“ Der König sei verzweifelt und könne sich „nicht trösten und beruhigen“, schrieb die Oberhofmeisterin Sophie von Voß über den Tod ihrer Nichte Julie. Seine Majestät hatte eine seiner Mätressen verloren. Bestürzt soll sich auch die Öffentlichkeit gezeigt haben: über den frühen Tod und einen ungeheuerlichen Verdacht. Das Volk, notierte die Oberhofmeisterin in ihrem Tagebuch, wolle es sich nicht ausreden lassen, dass die erst 22-jährige Julie „durch ein Glas Limonade vergiftet“ wurde. Von ihrer Konkurrentin Wilhelmine Enke. Umgehend ordnete Friedrich Wilhelm II. eine Obduktion an. Tagelang war nicht klar, ob das Eifersuchtsdrama 1789 mit einem Mord geendet sei.

„Eine Schönheit im Genre Tizians“: Julie von Voß, Porträt von Johann Heinrich Schröder, Pastell auf Papier, 1788/89.
Quelle: SPSG

Chronik einer angekündigten Tragödie

Die Tragödie hatte fünf Jahre zuvor im Pankower Schloss Schönhausen begonnen, wo sich Julie und Friedrich Wilhelm kennenlernten. Das Schloss am Rande der Hauptstadt war in der Regierungszeit Friedrichs II. ein Refugium für Familienmitglieder, von denen der große König nichts hielt. Seiner verschmähten und kinderlosen Ehefrau, Königin Elisabeth Christine, diente es als Sommersitz. Und der künftige Thronfolger Friedrich Wilhelm (1744 – 1797) nutzte die Residenz für kleine Auszeiten vom königlichen Erziehungsprogramm. Zum Missfallen seines Onkels Friedrichs II. interessierte sich dieser weniger für Militär und Finanzen, sondern begeisterte sich vielmehr für Frauen und Geisterbeschwörungen.

An der Schönhausener Tafel saß auch die zwanzig Jahre jüngere Julie von Voß (1766–1789), die der Königin als Hofdame diente. Julie (eigentlich: Elisabeth Amalie) war quasi um die Ecke, in Berlin-Buch, als Tochter eines preußischen Gesandten geboren worden. Während sie von ihrer Tante als „eine Schönheit im Genre Tizians, schlank und voll zugleich, von schönen Formen und feinen Zügen, blendend, aber von einer marmorähnlichen Blässe“ beschrieben wird, ist sie für Prinzessin Luise Radziwill das Gegenteil – „entstellt von einer häufig geröteten Nase und einer auffallenden Unbeholfenheit“.

Refugium der Verschmähten: Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow.
Foto: Robert Rauh

Bereits in der Phase der Verliebtheit sah die Tante das Fiasko voraus: „Julie gefällt dem Prinzen mehr als mir lieb ist. Ich fürchte, sie ist nicht unempfindlich für seine Bewunderung, und sie wird sich durch ein solches Gefühl nur selbst unglücklich machen.“ Die Oberhofmeisterin fasste sich ein Herz und stellte den Kronprinzen „mit allem Ernst“ zur Rede. Er gelobte mehrfach Besserung. Und wurde immer wieder schwach. „Der Prinz kam zum Diner nach Schönhausen und schien nichts zu sehen als Julie“, notierte die besorgte Tante im Frühjahr 1786. Und als wenige Wochen später Friedrich Wilhelm König wurde, hielt sie fest: „[E]s nimmt ein trauriges Ende für sie und für die Ehre der Familie.“

Und Julie? Der jungen Frau eröffneten sich jenseits des königlichen Bettes unerwartete Perspektiven, denen sie offenbar nicht widerstehen konnte und wollte. Zunächst willigte sie 1787 zu einer morganatischen Heirat [„Trauung zur linken Hand“] ein und wurde dann in den Grafenstand befördert. Zwei Jahre später kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Julie, nun Gräfin von Ingenheim, soll keine Gelegenheit ausgelassen haben, ihre Konkurrentin, die bürgerliche Mätresse Wilhelmine, den Standesunterschied spüren zu lassen. Aber es gelang ihr nicht, Friedrich Wilhelm von Besuchen bei Wilhelmine, der späteren Gräfin Lichtenau, abzuhalten. Der Verdacht, dass Wilhelmine Julie vergiftet hätte, bestätigte sich allerdings nicht. Die Obduktion habe „die Grundlosigkeit des Gerüchtes [bewiesen]; ihre Lunge war krank und daran war sie gestorben“, hielt die Oberhofmeisterin fest. Am 1. April 1789 wurde Julies Leiche in ihren Geburtsort Buch überführt.

Von der Fußnote in den Haupttext

Die Liaison mit dem preußischen Monarchen verschaffte Julie auch beim König der Wanderer eine Beförderung. Als Theodor Fontane im Juni 1860 Buch besuchte und seine Ergebnisse zwei Jahre später im ersten „Wanderungen“-Band veröffentlichte, war ihm die Mätresse nur eine Fußnote wert. Darin erklärt der Autor zwar, er müsse die Beziehung zum König „als bekannt voraussetzen“; tatsächlich fehlten ihm für eine anschauliche Beschreibung die Quellen. Offenbar wagte er es auch nicht, die Lücken der „pikanten“ Geschichte mit poetischem Kitt zu schließen. Zwanzig Jahre später gelang Julie von Voß der Aufstieg von der Fußnote in den Haupttext. Für das „Buch“-Kapitel, das – nun geografisch korrekt – von der „Grafschaft Ruppin“ in den vierten „Wanderungen“-Band „Spreeland“ von 1882 wanderte, standen ihm jetzt die publizierten Tagebücher der Gräfin Voß zur Verfügung.

Erinnerung an Fontanes Besuch in Buch: Restaurant „Il Castello“ (ehemaliger „Schlosskrug“) mit Fontane-Zimmer, 2019
Foto: Robert Rauh

Über Julies Tod erzählt Fontane, es sei ihr letzter Wunsch gewesen, nicht in der Familiengruft beigesetzt zu werden, sondern in einem „Grab unter der Kirchenkuppel, in der Nähe des Altars“. In seinem Notizbuch findet sich ein Grundriss, auf dem die „Gruft der Ingenheim“ eingezeichnet ist. Allerdings fanden sich an dieser Stelle bei späteren Untersuchungen weder Grab noch Gebeine. Ihr Name stand auch nicht auf dem Grabmal, das Julies Bruder 1795 im Schlosspark errichten ließ.

Mitten im Park: Kenotaph für Julie von Voß im Bucher Schlosspark, Postkarte um 1930.
Quelle: Archiv Rauh

„Die Sterbende“: Fontanes Skizze vom Relief des Denkmals, Notizbuch A11, 1860
Quelle: Digitale Notizbuchedition

Es ist ein klassizistisch gestaltetes Kenotaph mit einem antiken Motiv, das ein modernes Todesverständnis zeigt. Der Tod erscheint nicht mehr als Knochenmann, der den Verstorbenen ins Grab zieht. Stattdessen zeigt das figürliche Relief auf der Vorderseite einen jungen Todesengel, der die Sterbende, eine junge Frau, stützt und mit einem Gewand einhüllt. Sie liegt auf einer Chaise en grec [einem Stuhl in griechischem Stil] und hält in ihrer Hand des herabgesunkenen Armes einen Blumenkranz. Links steht ein Säulenmonument mit Vasenbekrönung.

Das Denkmal entstand nach einer Zeichnung des renommierten Architekten Hans-Christian Genelli (1763–1823), der aus einer römischen, später nach Dänemark ausgewanderten Künstlerfamilie stammt. Fontane hat auch das Relief in seinem Notizbuch skizziert und darüber die Inschrift notiert: „Soror optima, amica partriae [Beste Schwester, Freundin des Vaterlands]“.

Erfolgreiche Spurensuche

Rund 160 Jahre später erwies sich die Spurensuche in Buch schwieriger als erhofft. Das Schloss fiel 1964 der Abrissbirne zum Opfer, der Kirche fehlt seit einem Bombenangriff 1943 der Turm und Julies Grabmal wurde 1956 mutwillig zerstört. Nur das Relief blieb übrig; es kam ins heutige Stadtmuseum. In Buch sind Fontane und Julie von Voß jedoch nicht vergessen. Im italienischen Restaurant „Il Castello“, dem ehemaligen „Schlosskrug“, in dem Fontane einst übernachtete, befindet sich ein Fontane-Zimmer. Es wurde auf Initiative des Ehepaars Rosemarie und Adolf Henke eingerichtet. Inzwischen gleicht die Sammlung einem kleinen Museum, das nun um eine Geschichte bereichert wird.

Erfolgreiche Spurensuche: Ehemaliger Standort des Denkmals im Bucher Schlosspark neben der Panke.
Foto: Robert Rauh

Vor vier Jahren berichteten wir in der Berliner Zeitung über unsere Fontane-Recherche in Buch, die eine Suche nach dem ehemaligen Standort des Julie-Gedenksteins einschloss. Er ließ sich mithilfe eines Lageplans des Denkmalamtes und historischen Fotos im nördlichen Teil des Parks, direkt am Ufer der Panke, ermitteln. Unter Brennnesseln fanden sich Reste des Sockels und kleine Marmorstücke mit Ornamenten. Umgehend ließen die Henkes die Stelle markieren. Nun ist auch das restaurierte Denkmal in den Bucher Schlosspark zurückgekehrt. An diesem Mittwoch wird es feierlich eingeweiht.

Die Einweihung: Bildhauer und Restaurator Thomas Lucker vor dem verhüllten Denkmal, 11. Oktober 2023.
Foto: Robert Rauh

Eine Gemeinschaftsfinanzierung in Höhe von 125.000 Euro, an der sich unter anderem die Hinckeldey-Stiftung Berlin und das Straßen- und Grünflächenamt Pankow beteiligten, ermöglichte eine Wiedererrichtung des Denkmals unter Einbeziehung der Originalteile. Wie damals ist der Gedenkstein von einem Zaun umschlossen. Vor Graffiti wird er allerdings nicht schützen. Für den „schönen Schlosspark Buch“, der in den letzten Jahren aufwändig rekonstruiert wurde, sei das Denkmal am originalen Standort „eine sehenswerte Bereicherung“, erklärte Bezirksstadträtin Manuela Anders-Granitzki in einer Pressemitteilung. Was jetzt noch fehlt, ist eine erklärende Tafel. Sonst bleibt Fontanes Feststellung nach wie vor gültig: „Überall in Buch begegnet man den Spuren der schönen Gräfin, aber nirgends ihrem Namen.“

Enthüllt: Denkmal der Julie von Voß, Oktober 2023.
Foto: Robert Rauh

Quelle

Titelbild

  • Denkmal für Julie von Voß (verhüllt) im Bucher Schlosspark, 11. Oktober 2023 / Foto: Robert Rauh

Literatur

  • Theodor Fontane, Spreeland (Wanderungen durch die Mark Brandenburg), 1. Auflage, Verlag von Wilhelm Hertz, Berlin 1882.
    Kapitel «Buch», Unterkapitel: «Julie von Voß»
  • Theodor Fontane, Spreeland (Wanderungen durch die Mark Brandenburg), 2. Auflage («Wohlfeile Ausgabe»), Verlag von Wilhelm Hertz, Berlin 1892.
    Kapitel «Buch», Unterkapitel: «Julie von Voß»
  • Theodor Fontane, Wundersame Frauen. Weibliche Lebensbilder aus den «Wanderungen durch die Mark Brandenburg», hrsg. von Gabriele Radecke und Robert Rauh, Manesse Verlag, Zürich 2019, S. 35f., 67–70.
  • Marcus Becker, Nicht in die Mumiengruft! Kein Grabmal und zwei Kenotaphe für Julie von Voß; in: Grab und Memoria im frühen Landschaftsgarten, hrsg. von Anette Dorgerloh u.a., Wilhelm Fink Verlag, 2015, S. 153–182.

Weblinks

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