Das geheimnisvolle Gentzrode

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Von Gabriele Radecke und Robert Rauh.

Gentzrode liegt im Dornröschenschlaf. Versteckt hinter meterhohem Gestrüpp entdecken wir das imposante Herrenhaus und den ehemaligen Speicher mit Wohnturm. Die beiden Gebäude stehen zwar noch, aber aus den Dachrinnen wachsen Birken und durch die kaputten Türen, Fenster und Dächer dringt Feuchtigkeit ins Mauerwerk. Das Herrenhaus gleicht einer Tropfsteinhöhle. Überall riecht es nach modrigem Gebälk. Im ehemaligen Salon finden sich Graffiti an den Wänden und Reste einer Party. Seit Jahrzehnten ist der denkmalgeschützte Gutshof im Norden Neuruppins dem Zerfall preisgegeben. Trotz der Tristesse hat der historische Ort aber nichts von seiner magischen Anziehungskraft verloren.

Aufstieg und Fall

Gentzrode sucht in Brandenburg seinesgleichen. Die von der Kaufmannsfamilie Gentz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtete Gutshofanlage auf einer mit Heidekraut bewachsenen Sanddüne („Kahlenberge“) sollte den Besucher begeistern: ein Herrenhaus im maurischen Stil (1875-1877) und ein Landschaftspark, der „den Schöpfungen des Fürsten Pückler an die Seite gestellt werden“ könne. Alexander Gentz hatte sich jedoch übernommen, ging bankrott und musste das Gut 1881 verkaufen. Aufstieg und Fall von Gentzrode interessierten Fontane frühzeitig. Der Dichter kannte die „Turmknopf-Urkunde“ über die Gentzroder Bautätigkeit und hatte Kontakt zu Alexander Gentz, der ihn nicht nur auf einigen Wanderungen durch das Ruppiner Land begleitete, sondern auch mit Materialien für das Gentzrode-Kapitel versorgte.

Notizbücher: Fontane war schon früher vor Ort

Das Kapitel Gentzrode wurde im ersten „Wanderungen“-Band, „Die Grafschaft Ruppin“, in die dritte Auflage von 1875 aufgenommen und für die „Wohlfeile Ausgabe“ 1892 noch einmal komplett überarbeitet. Die bisherige Forschung geht davon aus, dass Fontane mit der Stoffsammlung im Frühjahr 1873 und mit einer Reise im Herbst desselben Jahres begonnen habe. Aber der Dichter war schon ein Jahrzehnt früher mit Gentzrode befasst. Wie die digitale Edition der Notizbücher belegt, hielt sich Fontane bereits im Sommer 1864 in Gentzrode auf, weil er darüber in der zweiten „Wanderungen“-Auflage von 1865 in einem anderen Kapitel wenigstens kurz informieren wollte.

Während Fontanes Besuch 1864 war das Herrenhaus noch nicht gebaut. Fontane sah jedoch den 1861 errichteten Speicher mit Wohnturm. Von diesem Ensemble gibt es in einem Notizbuch zwei Zeichnungen des Dichters: „die Seitenfront nach Ruppin zu“ und „die Hauptfront nach der Landstraße zu“ darstellend. In den „Wanderungen“ beschreibt Fontane ausführlich den Wohnturm. So habe man im unteren Turmzimmer „alles in Bild und Schrift beisammen, die Personen und Gedanken, die Gentzrode seinerzeit entstehen ließen. Es ist eine dunkelgrüne runde Halle, oben mit goldenen Sternen bemalt.“ Noch heute, 150 Jahre später, finden sich in dem runden Turmzimmer Reste der grünen Wandbemalung und der Schriftzug „Gentz“.

Märchenhafte Träume

Seit 1881 wechselten in Gentzrode mehrfach die Besitzer. 1945 besetzte die Rote Armee das Areal, auf dem bis Anfang der 1990er Jahre ca. 5000 sowjetische Soldaten und Offiziere stationiert waren. Nach dem Abzug der Truppen zerfiel die Anlage. Alle Versuche, das Gut zu sanieren, verliefen im Sande. Nun gibt es Hoffnung: Ein türkischer Unternehmer hat Gentzrode gekauft und einen Masterplan in Auftrag gegeben, der Ende 2017 in Neuruppin vorgestellt wurde. Das historische Gut soll das größte Golf- und Freizeitresort Europas werden. Ohne Superlative geht es in Gentzrode nicht. Gutspark und Herrenhaus sollen denkmalgerecht rekonstruiert werden. Vor Ort ist bisher nichts passiert. Gentzrode zerfällt weiter.

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Gentzrode: Speicher mit Wohnturm, Hauptfront, März 2018
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Gentzrode: Speicher mit Wohnturm, Hauptfront, Fontanes Zeichnung von 1864, Notizbuch A1 

Quellen:

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg.

– Zweite Auflage Berlin: Wilhelm Hertz 1865.

– Dritte Auflage Berlin: Wilhelm Hertz 1875.

– Fünfte Auflage Berlin: Wilhelm Hertz 1892 (Wohlfeile Ausgabe).

Theodor Fontane: Notizbücher. Digitale Edition. Hrsg. von Gabriele Radecke. Göttingen 2015 ff. (Notizbuch A1).

Und mehr über die Geschichte und die Zukunft von Gentzrode in: Robert Rauh, „Fontanes Ruppiner Land“ (Frühjahr 2019).

2 Meinungen zu “Das geheimnisvolle Gentzrode

  1. Wengsam sagt:

    In der zeitung wurde von baudezernenten aus neuruppin vollmundig versprochen, jetzt haben wir den richtigen Investor . Das war vor fast einem Jahr. Toll , wie alles was von ihm kommt.

  2. Jana Kolar-Voigt sagt:

    Liebe Frau Radecke, lieber Herr Rauh und Herr Lorenz,
    vielen Dank für diese wunderbare Projektidee und die neue Website, die ich nun endlich auch mal besucht habe. Wirklich schön gemacht und informativ. Ich freue mich auf das Buch (tolle Bilder bisher!) und natürlich vorher noch auf „Fontanes Frauen“ und unsere gemeinsame Lesung!
    Herzliche Grüße aus Neuruppin
    Jana Kolar-Voigt, Fontane-Buchhandlung

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