Der letzte Schlummer in Lindow

Veröffentlicht von Gabriele Radecke und Robert Rauh.

New York hat die Freiheitsstatue, Kopenhagen die kleine Meerjungfrau und Lindow die schöne Nonne. Die drei Frauenfiguren haben einiges gemeinsam: Sie sind das Wahrzeichen ihrer Stadt, stehen am Ufer eines Gewässers – und besitzen einen mythischen Ursprung. Die Sage von der schönen adligen Amelie, die wegen ihrer Liebe zu einem Bauernburschen von ihren Eltern im Kloster Lindow „eingesperrt“ wurde, kommt in Fontanes „Wanderungen“ nicht vor. Dabei hätte die Geschichte das Zeug für eine märkische Version von Romeo und Julia auf dem Lande. Statt Legenden und Anekdoten wird der Leser in Lindow mit einem Abriss zur Geschichte des Klosters versorgt. Fontanes Recherche bei seiner Ruppin-Reise im Herbst 1873 füllt immerhin elf Notizbuchseiten. Nicht alle Details gelangten in das „Lindow“-Kapitel, das ab der dritten Auflage von 1875 den ersten „Wanderungen“-Band bereichert.

Nordgiebel des ehemaligen Konventgebäudes: Fontanes Skizze aus seinem Notizbuch von 1873. Quelle: Digitale Notizbuchedition

Ruine seit dem Dreißigjährigen Krieg: Nordgiebel des ehemaligen Konventgebäudes. Quelle: Robert Rauh

Die Stadt sei reizend, befand er in den „Wanderungen“, aber „nur durch ihre Lage“, nicht „durch ihre Straßen und Plätze“. Beeindruckt zeigt er sich dagegen vom Kloster. Er ließ die Kutsche halten, kletterte über die „weder Tür noch Pforte zeigende Mauer“ und besichtigte die seit dem Dreißigjährigen Krieg zerstörte Anlage.

Für den Rundgang ist heute Ingrid Röseler zuständig. Genauer gesagt: Adelheid von Stechlin, deren Rolle sie seit einigen Jahren spielt, um Touristen über das Gelände zu führen. Adelheid war Domina im Kloster Wutz – das Kloster ist jedoch Fiktion. Genauso wie Adelheid von Stechlin. Schauplatz wie Figur sind Fontanes letztem Roman „Der Stechlin“ entnommen. Vorlage für das poetische Kloster Wutz ist das reale am Wutzsee in Lindow.

Interessiert zeigte sich der Wanderer an einem Grabstein, „unter dem (wenn ich das Wappen richtig erkannt) eine von Pannewitz ihren letzten Schlummer schlief“. In seinem Notizbuch ist er sich allerdings mit der Inschrift auf dem „schöne[n] Stein“, den er auch von oben skizziert hat, nicht sicher: „wahrscheinlich Elisabeth v. Pannewitz, oder Ramew oder so ähnlich“ Weder noch. Aber der Wanderer ist entschuldigt. Zumindest in diesem Punkt. Denn ein Notizblatt zuvor beklagte Fontane den Zustand der Steine: „alles mit Moos und Flechten überzogen, die Namen in den meisten Fällen nicht mehr zu entziffern“.

Weil der Elisabeth-Stein – eine überdimensionale Urne auf einem zum Teil von Efeu umrankten Sockel aus Feldsteinen – zu den inzwischen gereinigten Grabsteinen gehört, wissen wir heute, wem er gewidmet ist: Henriette Elisabeth Maria von Winterfeldt (1741–1795). Warum sie einen Grabstein auf dem Klosterfriedhof erhielt, ist nicht zu ermitteln. In der Liste der Dominae fehlt sie.

„Eine Viertelstunde lang“ hielt Fontane „Umschau“ auf dem Elisabeth-Stein. Quelle: Robert Rauh

Für Fontane war die Schlummernde ohnehin nebensächlich. Er nutzte ihren Grabstein für ein Recherche-Ritual seiner Wanderungen: „Umschau halten“. Ja, Sie lesen richtig: „Auf dieses Epitaphium, das einen guten Überblick versprach, stieg ich hinauf und übersah nun, ein paar Zweige zurückbiegend, die ganze Klosteranlage.“ Man möchte sich nicht ausmalen, wie Frau Röseler reagiert hätte, wenn wir es dem bekannten Wanderer gleichgetan hätten; wahrscheinlich wäre sie kurzerhand in die nächste Rolle geschlüpft, in die des mahnenden „Rohrspatzes von Lindow“.

Alles was im Ruppinischen mal Rang und Namen hatte, ist hier versammelt: Klosterfriedhof Lindow , 2019. Quelle: Robert Rauh

Quelle:

Märkische Allgemeine Zeitung vom 24.8.2019

https://www.maz-online.de/Lokales/Ostprignitz-Ruppin/Lindow/Wandern-nach-Fontanes-Notizen-Lindow

Titelbild: Lindows graues Wahrzeichen: Skulptur der Schönen Nonne im Wutzsee, 2018. Quelle: Robert Rauh

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