von Gabriele Radecke und Robert Rauh
Manchmal bedarf es nicht viel, um Zweifel zu äußern. Bei Fontane reichte ein Wort. Weil er es in seinen Wust-Aufsatz erst später einfügte und nicht erläuterte, blieb es bisher „unentdeckt“. Der Zweifel bezieht sich auf den letzten Akt der berühmten „Katte-Tragödie“, die Fontane zeitlebens faszinierte und die ihn zur „Ruhestätte derer von Katte“ nach Wust führte. In der Familiengruft ist der junge Hans Hermann von Katte beigesetzt, der 1730 hingerichtet worden war, weil er dem Kronprinzen Friedrich (II.) zur Flucht vor dessen tyrannischen Vater verhelfen wollte.

Beihilfe zur Flucht: Hans Herman von Katte (1704–1730)
Gemälde von Georg Lisiewski, um 1730
Auch der abtrünnige Kronprinz wurde vom Soldatenkönig vor Gericht gestellt. Vorgeworfen wurde ihnen Majestätsbeleidigung und Fahnenflucht. Auf beide Vergehen stand nicht nur in Preußen die Todesstrafe. Aber nur Katte wurde bestraft. Der König milderte die Strafe, indem er dem unglücklichen Vater schrieb, sein Sohn hätte es verdient, „mit glühenden Zangen“ zerrissen zu werden; er habe jedoch entschieden, dass ihm „der Kopf abgeschlagen werden soll“. Der Fall erregte europaweit Aufsehen und sorgte zusätzlich für Brisanz, da ungeklärt blieb, in welcher Beziehung die beiden jungen Männer zueinander standen. In Wust kommt jetzt eine weitere offene Frage hinzu: Liegt im „Henkerssarg“ der falsche Katte?
Katte-Tragödie als Trilogie in den „Wanderungen“
Die Katte-Geschichte bildet in Fontanes „Wanderungen“ eine Trilogie: In Köpenick („Spreeland“) tagte das Kriegsgericht, auf der Festung Küstrin („Das Oderland“) wurde Katte hingerichtet und in Wust („Havelland“) beigesetzt. Mehrfach wurde der Stoff überarbeitet – und erfährt am Ende einen bemerkenswerten Perspektivwechsel. Während Fontane anfangs den Kronprinzen und seinen Konflikt mit dem Vater ins Zentrum stellte, schilderte er die Geschichte später aus der Sicht des Freundes. Der Kronprinzen-Konflikt wurde zur „Katte-Tragödie“, für die Fontane über die havelländische Grenze nach Wust reiste. Denn Wust, heute im Landkreis Stendal gelegen, gehörte schon zu Fontanes Zeiten nicht mehr zu Brandenburg.
„Ein heller Augusttag führte“ ihn, heißt es in den „Wanderungen“, in das „Geburtsdorf des Hans Hermann von Katte“. Was Fontane jedoch nicht wusste und noch immer von ihm „abgeschrieben“ wird: Katte ist in Berlin geboren und kam als Kind nur in den Sommermonaten nach Wust. Erhellend sind vor allem Fontanes 34 Notizbuchseiten, die zeigen, wie der reale Besuch am 16. August 1867 in den „Wanderungen“ ästhetisiert wird.

Fontanes Notizbuch von 1867, unter anderem für seine Reise nach Wust und Schönhausen (Preußische Provinz Sachsen)
Quelle: Digitale Fontane-Notizbuchedition, hrsg. von Gabriele Radecke
Und sie verdeutlichen, wie er seinen erzählten Text auf Katte fokussiert. Ohnehin kommt man in Wust an Katte nicht vorbei. Weil sein tragischer Tod damals wie heute Menschen berührt, pilgern jedes Jahr Hunderte zu diesem authentischen Geschichtsort, in dem vieles aus der Katte-Zeit noch zu sehen ist: das Herrenhaus, die Kirche – und die Gruft. Dass dort auch der Sarg „des Enthaupteten“ zu finden ist, geht zurück auf ein Gnadengesuch des Vaters, seinen Sohn nach Wust überführen zu dürfen. Zunächst war Katte nach der Hinrichtung, so hatte es der König verfügt, auf dem Küstriner „Armen-Kirchhoff“ in aller Stille vergraben worden.

Fontane-Skizze der Katte-Gruft aus dem Notizbuch von 1867
Quelle: Digitale Fontane-Notizbuchedition, hrsg. von Gabriele Radecke

Wie vor 400 Jahren: Die Katte-Gruft in Wust, 2022
Foto: Robert Rauh
Fontane in der Gruft
Fontane hat in seinem Notizbuch die barocke Gruft hinter der Kirche von außen skizziert und detailliert festgehalten, was er innen zu sehen bekam. Es klingt nüchterner als später im gedruckten Text: Die Kattes „liegen alle in prächtigen Särgen, mit Ausnahme Hans Hermanns. Wenn man eintritt, in der Ecke links, so daß von dem einfallenden Tageslicht nur ein Schimmer hierher fällt[,] steht ein einfacher, langer Holzsarg.“ Für den Wanderer wurde er extra geöffnet. „Wenn man den Deckel abgenommen hat, so steht in dem äußren Sarg ein zweiter, eine bloße zugeschrägte Kiste mit einem flachen Deckel. Hat man auch diesen zweiten Deckel aufgehoben, so erblickt man alles, was von irdischen Ueberresten von dem unglücklichen Katte übrig ist.“ Es war nicht nur der Verfall, den Fontane registrierte. Vor Ort erfuhr er, wie die „Curiositätenkrämerei“ zu einer Entweihung der letzten Ruhestätte geführt hatte. Ein Engländer entwendete den Halswirbel, „den das Henkersschwert durchschnitten hatte. Andre nahmen nach und nach alle Zähne als Erinnerungsstücke mit.“
Am Katte-Gedenktag, der jedes Jahr im November vom Geschichtskreis Wust (GuM) veranstaltet wird, hatten wir die Gelegenheit, die Gruft zu besichtigen. Es war gespenstisch, weil – wie einst bei Fontane – ein Kerzenleuchter Licht spendete. Erst dann sahen wir den Sarg von Hans Hermann, der noch immer dort steht, wo er vor vierhundert Jahren abgestellt wurde: ohne Podest in der äußersten Ecke. Im ersten Moment zuckten wir zurück, weil der Sarg geöffnet ist. Erinnerten uns dann aber an Fontanes Beschreibung: Im äußeren Sarg sei ein zweiter. Tatsächlich ist es eine Holzkiste mit einem flachen Deckel, auf dem ein kleiner Kranz mit drei weißen Rosen und der Brief einer Verehrerin liegen.

Gespenstisch wie bei Fontane: Katte-Sarg in der Gruft, 2022
Foto: Robert Rauh
Zweifel an der Echtheit
Die bislang letzte Sargöffnung fällt in das Jahr 1987, als das Institut für Gerichtliche Medizin Potsdam die sterblichen Überreste von zehn Personen aus der Katte-Familie für ein neues radiologisches Zuordnungsverfahren untersuchte. Auch das Skelett von Hans Hermann wurde nach Potsdam gebracht. Über die Ergebnisse wurde in der DDR-Presse in großer Aufmachung berichtet. Im Mittelpunkt standen das Katte-Drama und die Erkenntnis, dass der Henkerssarg tatsächlich die Gebeine von Friedrichs Jugendfreund enthalte.

Ein hellblauer Seidenmantel umhüllt den Körper: Sterbliche Überreste nach der Öffnung des Katte-Sarg, 1987
Quelle: GuM

Geordnet für die Untersuchung in Potsdam: Katte-Skelett, 1988
Foto: Gabriele Senft
Genau das wird nun bezweifelt. Der Anthropologe Herbert Ullrich, der sich mit seinen Forschungen zum Schädel von Friedrich Schiller über die Wissenschaftsgrenzen hinaus einen Namen gemacht hat, behauptet, in dem Katte-Sarg befinden sich die sterblichen Überreste einer Frau. Der inzwischen verstorbene Ullrich konnte seine These nicht beweisen, weil er vor einem doppelten Problem stand: Einerseits liegt von der DDR-Untersuchung kein schriftlicher Bericht vor und andererseits wurde eine erneute Untersuchung „von den verantwortlichen Stellen“ abgelehnt.
Die plausibelste Erklärung für Ullrichs Behauptung lässt sich auch nicht belegen: dass im November 1730 auf dem Küstriner Friedhof vermutlich der falsche Sarg ausgegraben wurde. Inwieweit sich Fontane über die Identität des Leichnams informiert hatte, ist nicht bekannt. Aber es gibt einen Hinweis, der ihn zweifeln ließ. Im Erstdruck seines Wust-Aufsatzes in der Vossischen Zeitung von 1871 fehlt ein Wort, das er für die Buchausgabe 1880 ergänzte: „In dem äußeren Sarge stand ein zweiter, der eigentliche, VIELLEICHT der, in dem man ihn zu Küstrin gelegt hatte.“
Vielleicht muss der Sarg doch noch einmal geöffnet werden.

Katte im „Oderland“: Hinweistafel an der (vermuteten) Hinrichtungsstätte in der (ehemaligen) Festung Küstrin (heute: Polen), 2024
Foto: Robert Rauh
Quelle
- Gabriele Radecke und Robert Rauh: Zweifel in Wust – Mit Fontane auf der Suche nach Hans Hermann von Katte; in: Tagesspiegel vom 2.6.2023
Titelbild
- Hinter der Kirche: Katte-Gruft in Wust, 2022, Foto: Robert Rauh
Literatur
- Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 3: Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg, hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau, Große Brandenburger Ausgabe. 2. Aufl., Aufbau-Verlag, Berlin 1994.
- Radecke, Gabriele/Rauh, Robert: Fontanes Havelland, BeBra Verlag, Berlin 2024 [Wust S. 223–249].
- Kloosterhuis, Jürgen: Katte, Ordre und Kriegsartikel. Aktenanalytische und militärhistorische Aspekte einer „facheusen“ Geschichte. Duncker & Humblot, 2. erw. Aufl., Berlin 2011.
- Katte, Maria von: Wust. Schlösser und Gärten in Sachsen-Anhalt, hrsg. von der Deutschen Gesellschaft in Sachsen-Anhalt e.V., 2. überarb. und erw. Aufl. 2010.
- Ullrich, Herbert: Schädel-Schicksale historischer Persönlichkeiten, Verlag Dr. Friedrich Pfeil, München 2004.
- Ullrich, Herbert: Schädel-Schicksale: Katte und Mozart; in: Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Bd. 26, 2005, S. 103–110.
Weblinks
- Wust in Fontanes Notizbuch, Notizbuch A 18 (16.8.1867); in: Theodor Fontane: Notizbücher. Digitale Edition, hrsg. von Gabriele Radecke. Göttingen 2015–2020, Notizbuch A 17 (1869).
- Die Kirche zu Wust und Grablege derer zu Katte; in: GuM – Geschichtskreis und Marionettenbühne (Website)