Die Blaue Grotte – Geisterbeschwörung in Marquardt

von Gabriele Radecke und Robert Rauh.

Als Drehort ist Marquardt heiß begehrt. Nicht nur für Serien wie Babylon Berlin oder Musikvideos mit Silbermond und Scooter, sondern auch für echte Blockbuster. Steven Spielberg drehte hier mit Tom Hanks Szenen für seinen Agententhriller Bridge of Spies und Hollywood-Star Kristen Stewart wandelte in Spencer als Lady Di durch dunkle Gänge. Wenn die Filmcrews abreisen, fällt das Schloss wieder in seinen Dornröschenschlaf. So läuft es seit Jahren.

Dabei hat Marquardt auch ohne Scheinwerferlicht viel zu bieten: „Schloss-, Park- und Landschaftsbeschreibung, Historisches, Anekdotisches, Familienkram und Spukgeschichte. Mehr“, schrieb Fontane an seinen Verleger Wilhelm Hertz, „kann man am Ende nicht verlangen.“ Allein das Schloss tanzt aus der Reihe märkischer Gutsanlagen. Nicht nur architektonisch. Es war Herrensitz und Hotel, Gehörlosen- und Gartenbauschule.

Äußerlich im Dornröschenschlaf: Schloss Marquardt, 2018
Foto: Robert Rauh

Nichts davon erfährt man vor Ort. Und das morbide Schloss, das für Hochzeiten und Events gemietet werden kann, ist an nahezu allen Ecken und Enden sanierungsbedürftig.

Wenn mal einer nach der Historie fragt, berichtet der ehemalige Schlossverwalter, dann interessiert nur das eine:

Wo ist die Blaue Grotte?

Irgendwo zwischen Schloss und Schlänitzsee soll sie angelegt worden sein, eingelassen in einen Hügel. Die geheimnisvolle Grotte, in der mit längst verstorbenen Berühmtheiten kommuniziert wurde. Ziemlich ratlos stehen wir auf der kahlen Schlossterrasse und schauen durch den schattigen Park auf den silberglänzenden See. Die Aussicht ist auf beiden Seiten begrenzt von zugewucherten Erhebungen, unter denen vielleicht Reste der Grotte verborgen sein könnten. Immer wieder wird berichtet, im Park finde man Splitter der blauen Schlackensteine, mit denen die Grotte ausgekleidet war. Wo sie sich allerdings genau befindet, steht auch in den diversen Broschüren über Marquardt nicht. Fontane hat sie noch gesehen, bevor Gras über die Geister-Geschichte wuchs. Seine Beschreibung in den „Wanderungen“ ist ein letzter Zeitzeugenbericht und seine Skizze im Notizbuch die einzige überlieferte Abbildung. Aber der Reihe nach. 

Geister-Grotte für den König

Anlegen ließ die Grotte Johann Rudolph von Bischoffwerder, der das Gut Marquardt 1795 erwarb – und den Fontane ausdrücklich hervorhebt, auch wenn er ihn falsch schrieb („Bischofswerder“). Mit ihm sei Marquardt „in die Reihe der historischen Plätze“ eingetreten. Bischoffwerder war ein Günstling par excellence. Nachdem er in den Kreis um den drei Jahre jüngeren preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (II.) gelangte, gewann er schnell das Vertrauen des verunsicherten Thronfolgers, beriet ihn in politischen Fragen und erkannte dessen Schwächen, die er für sich zu nutzen verstand. Der Kronprinz war – zum Missfallen seines Onkels Friedrichs des Großen – weniger mit Politik als vielmehr mit seinen Mätressen beschäftigt.

Zauberei statt Aufklärung: Friedrich Wilhelm II., König von Preußen (Reg. 1786–1797),

Gemälde von Anton Graff, 1792

Was dem Alten Fritz wohl am meisten zu schaffen machte: Friedrich Wilhelm glaubte nicht an die Aufklärung, sondern an Zauberei und suchte in spiritistischen Sitzungen Kontakt zu Toten. Damit lag er durchaus im Trend der Zeit. Man traf sich in Geheimlogen und hoffte auf mystische Erfahrungen, indem man Geister beschwor. Auch Bischoffwerder war der Magie und Mystik zugetan. Es gelang ihm sogar, den Kronprinzen 1781 unter dem Namen „Ormerus Magnus“ in den Orden der Gold- und Rosenkreuzer aufnehmen zu lassen. Die Rosenkreuzer prophezeiten Friedrich Wilhelm, anlässlich seiner Thronbesteigung würden „die Geheimen Oberen aus dem Osten“ nach Berlin kommen und ihm als neuen Herrscher magische Kräfte verleihen.

Obwohl nach der Krönung 1786 keine Oberen erschienen, fiel Bischoffwerder nicht in Ungnade. Im Gegenteil: Mit seiner Karriere ging es von nun an bergauf. Wie hoch er in der Gunst des Königs gestiegen war, zeigte sich in der großzügigen finanziellen Unterstützung bei dem Erwerb von Marquardt. Mit Bischoffwerder begann in Marquardt tatsächlich „eine neue Zeit“. Friedrich Wilhelm II. kam erst zur Taufe des ältesten Sohnes und später „in der Dämmerstunde“ zur Geisterbeschwörung. Der König wurde in die mit blauer Schlacke ausgestattete Grotte unter einem Akazienhügel geführt, wo er – begleitet von leisem Gesang „wie von Harfentönen“ – Kontakt mit historischen Prominenten wie dem römischen Kaiser Marc Aurel oder dem Philosophen Leibniz aufnahm.

Fontane entlarvt den Zauber

Fontane hat die Reste der „Geistergrotte“ bei seiner Stippvisite in Marquart 1869 inspiziert, einen Grundriss skizziert und mit seiner Beschriftung „In Brusthöhe 2 heimliche Eingangslöcher mit Steinen versetzt“ den Zauber entlarvt. Die Grotte, schreibt er dann im „Havelland“-Band, sei „doppelwandig gewesen“ und ein Ordensmitglied „habe von diesem Versteck aus die ‚musikalische Aufführung‘ geleitet und die Antworten erteilt.“

Beliebter Drehort: Schloss Marquardt, Gemälde von Albert Hertel, 1894

Quelle: Archiv Grittner

Grundriss der Blauen Grotte im Schlosspark Marquardt:

Fontane-Skizze aus dem Notizbuch von 1869

Quelle: Digitale Fontane-Notizbuchedition, hrsg. von Gabriele Radecke

Bei seinem Besuch war der Spuk verraucht und die Grotte eingestürzt. „Nur die äußeren Mauern, mit Ausnahme der Frontwand, sind stehengeblieben und schieben sich in den Akazienhügel ein. Strauchwerk zieht sich jetzt darüber hin.“ Fontane hätte den Spurensuchern einen großen Gefallen erwiesen, wenn er wie andernorts auch in Marquardt einen Lageplan gezeichnet hätte. Schloss, See und dazwischen den Standort der Grotte – es könnte heute so einfach sein.

„Ja, Ihr Fontane hilft bei der Suche nicht weiter“, sagt Wolfgang Grittner und schaut skeptisch auf dessen Notizen zu Marquardt. Der promovierte Veterinärmediziner ist seit 1988 Ortschronist und kennt jeden Winkel seines Hoheitsgebiets. Grittner präsentiert uns aus seinem Archiv die Kopie eines Park-Plans von 1823. Bei dem Zeichner handelt es sich um keinen Geringeren als Peter Joseph Lenné, der den Marquardter Gutspark im Auftrag von Bischoffwerders Sohn umgestalten sollte. Zwischen Schloss und Schlänitzsee, an zwei verschlungenen Wegen, ist die Grotte tatsächlich eingezeichnet.

Urwald statt „Strauchwerk“:

Standort der ehemaligen Blauen Grotte in Marquardt (rechts die Erhebung mit Büschen), im Hintergrund das Schloss

Foto: Robert Rauh

Vor Ort verdeckt den mutmaßlichen Standort kein „Strauchwerk“ mehr wie bei Fontane, sondern ein kleiner Urwald, scheinbar undurchdringlich. Nicht für Grittner. Er will jedoch nicht selbst graben, sondern mit wissenschaftlicher Begleitung der Grotte auf den Grund gehen. Und einem Georadar, der mit elektromagnetischen Wellen eine Untersuchung des Untergrunds ermöglicht. Dafür müsste der Hügel gerodet werden. Grittner will dranbleiben.

Damit wir nicht ganz ohne Ergebnis aus dem Park scheiden, überreicht er uns einen blauen Schlackenstein – als haptischen Beweis für eine Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt ist.

„Reliquie“ aus der Blauen Grotte: Schlackenstein

Foto: Robert Rauh

Quelle

  • Gabriele Radecke und Robert Rauh: Wo ist die Blaue Grotte? Fontane und die Geisterbeschwörung in Marquardt; in: Tagesspiegel vom 11.05.2023 

Titelbild

  • Schloss Marquardt, 2022; Foto: Jonas Becker

Literatur

  • Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 3: Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg, hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau, Große Brandenburger Ausgabe. 2. Aufl., Aufbau-Verlag, Berlin 1994.
  • Radecke, Gabriele/Rauh, Robert: Fontanes Havelland, Be.Bra Verlag, Berlin 2024 [Marquardt S. 13–35].
    Kapitel «Buch», Unterkapitel: «Julie von Voß»
  • Grittner, Wolfgang: Marquardt. Schlösser und Gärten der Mark (Heft 88), hrsg. vom Freundeskreis Schlösser und Gärten der Mark in der Deutschen Gesellschaft e.V., Berlin 2012.
  • Grittner, Wolfgang: Mit Theodor Fontane durch die Geschichte von Marquardt. Heimatbuchverlag Brandenburg, Potsdam 2010.

Weblinks

  • Fontane, Theodor: Notizbücher. Digitale Edition, hrsg. von Gabriele Radecke. Göttingen 2015–2020. Marquardt im Notizbuch A15 (1869)
  • Fontane, Theodor: Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg. Verlag Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), Berlin 1873. Kapitel: Marquardt
  • Weirauch, Dieter: Auf Fontanes Spuren in Marquardt; in: Einfach raus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert