Veröffentlicht von Gabriele Radecke und Robert Rauh.
Ist das noch Brandenburg? „Ausgestreckt am Hügelabhang, den Wald zu Häupten, den See zu Füßen, so träumst du hier, bis die wachsende Stille dich erschreckt.“ Es ist die Ruppiner Schweiz. Fontane besuchte sie im September 1864 und widmete ihr ein Jahr später in der Überarbeitung des ersten „Wanderungen“-Bandes („Die Grafschaft Ruppin“) ein kurzes Kapitel. Dass es zu den poetischsten Passagen gehört, liegt nicht nur an Fontanes Beschreibung des für Brandenburg ungewöhnlich hügeligen Landstriches im Norden des Rheinsberger Seengebietes, sondern auch an der schönen Sabine. Eine Geschichte nach des Dichters Geschmack.
„Den Wald zu Häupten“: Binenwalde in der Ruppiner Schweiz. Quelle: Robert Rauh
Mehr Idyll als Historie
Sie handelt von einem Rendezvous am Kalksee: Der Liebhaber kam von Rheinsberg herüber und gab „im Abenddämmer das wohlbekannte Zeichen nach dem mitten im See gelegenen Forsthaus hinüber“. Kurz darauf glitt ein Kahn aus dem Schilfgürtel hervor. Im Kahn stand „lächelnd aufrecht“ die schöne Sabine, das „‚Insel- und Försterkind‘“. Sie führte das Ruder mit „raschem Schlage, bis im nächsten Moment das Ruder ans Land und sie selbst dem Harrenden in die Arme flog“. Was Sabine nicht wusste: ER war der Kronprinz Friedrich.
Die Geschichte sei „mehr Idyll als Historie“ ergänzt Fontane in Klammern – einen Zusatz, den er bei der nächsten Überarbeitung der „Grafschaft Ruppin“ 1875 wieder herausnahm. Aus dieser dritten Auflage verschwand auch der Ort Binenwalde, der im Kapitel „Dörfer und Flecken im Lande Ruppin“ zehn Jahre zuvor einen kurzen Abschnitt erhalten hatte – zwischen Bechlin und Buskow. Es sind Fontanes vergessene Orte.
„Den See zu Füßen“: Blick über den Kalksee bei Binenwalde. Quelle: Robert Rauh
Wer war die schöne Sabine?
Während der berühmte Wanderer in einigen dieser Dörfer gar nicht war, lässt sich für Binenwalde aufgrund der Notizbücher Fontanes ein Besuch nachweisen. In ihnen findet sich auch eine kleine Fortsetzung der Sabinen-Geschichte: 1753 habe König Friedrich das Gut besucht und „blickte nach Sabines Häuschen hinüber“. Das Haus existiere nun nicht mehr, notiert Fontane. Aber auf einer Scheune entdeckte er eine Wetterfahne mit der Inschrift: „C.S.K. Caroline Sabine Kusig“. In Klammern ergänzt der Wanderer: „Caroline ist unsicher.“ Das gilt auch für die Liebesgeschichte zwischen der hübschen Förstertochter und dem Kronprinzen, die nach Fontane noch weitere literarische Blüten trieb.
Gesichert sind dagegen die Eckdaten über die ‚echte‘ Sabine. Der Heimatforscher Wilhelm Bartelt machte sie 1932 öffentlich: Die aus Zühlen stammende Sabine (1715-1783) heiratete 1734 den Förster Ernst Ludwig Cusig, der zunächst eine Försterstelle in Rüthnick und ab 1739 in Zühlen erhielt. Erst 1753 gründete er die Kolonie Binenwalde. Somit entpuppt sich die Liaison zwischen Kronprinz und Sabine als Legende.
Freizügig wie das Original: Das Sabinen-Denkmal in Binenwalde. Quelle: Robert Rauh
Der Ort setzte seiner hübschen Namensgeberin 1843 ein Denkmal, das auch Fontane in den „Wanderungen“ von 1865 erwähnt: „Vor dem jetzigen Gutshause steht eine Statue“, von der das Volk sagt: ‚es ist die Bine‘.“ Das Monument wurde 1945 zerstört und 2007 in neuer Form wieder aufgestellt. Nicht vor dem Gutshaus, sondern hoch auf dem Berg über Binenwalde.
Eine steile Treppe führt zum Sabinenhain, wo man nicht nur die freizügig dargestellte Bine bewundern, sondern auch auf Bänken verweilen kann. „Mit angespannten Sinnen lauschest du“, schreibt Fontane über die Ruppiner Schweiz, „ob nicht doch vielleicht ein Laut zu dir herüberklinge, und endlich hörst du die Rätselmusik der Einsamkeit.“
Quelle:
Märkische Allgemeine Zeitung vom 28.5.2019 https://www.maz-online.de/Lokales/Ostprignitz-Ruppin/Neuruppin/Fontanes-vergessene-Orte-Binenwalde