Die Geliebte des Kronprinzen

Veröffentlicht von Gabriele Radecke und Robert Rauh.

Kronprinz Friedrich und Frau von Wreech

Louise von Wreech teilt das Schicksal der schönen Sabine (Sabine Kusig). Beide Frauen haben Fontanes Interesse einem Mann zu verdanken: Friedrich dem Großen. Und Fontane haben wir es zu verdanken, dass sie als dessen Geliebte in die „Historie“ eingegangen sind. Der Dichter beschreibt die Beziehung zwischen dem Kronprinzen und der geistreichen Adligen Luise von Wreech aus Tamsel (heute: Polen) in seinem zweiten „Wanderungen“-Band „Oderland“ (1863). Und fragt zu Recht: „Welcher Art waren diese Beziehungen? War es ein intimes Freundschaftsverhältnis, oder war es mehr?“

Beide Beziehungen fallen in die Kronprinzenzeit. Der 18jährige Friedrich hatte 1730 zusammen mit seinem Freund Hermann von Katte versucht, dem despotischen Vater Friedrich Wilhelm I. zu entfliehen. Der Kronprinz wurde jedoch gefasst und in Küstrin arretiert. Nachdem Katte vom Soldatenkönig hingerichtet worden war, wirkte Friedrich auf sein Umfeld keinesfalls gebrochen – zumindest äußerlich. Er befolgte die Anweisungen seines Vaters, zeigte offiziell Reue und war schon bald wieder „lustig wie ein Buschfink“. 1731 begegnete der Kronprinz Luise von Wreech in Tamsel., zwei Jahre später – Friedrich kommandiert inzwischen das Infanterieregiment von der Goltz in Neuruppin – lässt ihn Fontane mit der schönen Förstertochter in Binenwalde zusammentreffen.

Bestach durch „Geist und Grazie“: Louise von Wreech, Ölgemälde von Antoine Pesne, 1737
Quelle: Bayerische Schlösserverwaltung, M. Tretter, München

War es ein Liebesverhältnis?

Im Unterschied zur Sabinensage ist ein Kontakt Friedrichs mit Luise von Wreech belegt. Während seiner Küstriner Zeit besuchte der Kronprinz zwischen August 1731 und Ende Februar 1732 mehrmals das benachbarte Gut Tamsel, das sich im Besitz der jungen Luise Eleonore von Wreech (1708–1784) befand. Luise, der das Gut als einziger Tochter nach dem frühen Tod ihres Vaters, Johann Ludwig von Schöning (1675–1713), zugefallen war, heiratete 1723 den späteren preußischen Generalmajor Adam Friedrich von Wreech (1689–1746). Als Friedrich nach Tamsel kam, hatte Luise bereits fünf Kinder zur Welt gebracht. Überliefert ist ein reger Briefkontakt zwischen dem Kronprinzen und der vier Jahre älteren Gutsbesitzerin, von deren „Geist und Grazie“ sich Friedrich angezogen fühlte. Die Beziehung beschäftigte schon die Zeitgenossen.

Auch Fontane interessierte vor allem eines: War es ein Liebesverhältnis? Seine Antwort in den Wanderungen wandelte sich im Laufe der Jahre und Auflagen. Während er in der ersten Oderland-Ausgabe (1863) noch behauptet, dass der Prinz „ein intimes Verhältniß mit der schönen Frau v. Wreech anknüpfte“, heißt es in der dritten Auflage (1880) zunächst neutraler, dass Friedrich nach seinem ersten Besuche „alsbald in Beziehungen zu der schönen Frau von Wreech trat“. Dieser Einschätzung folgt die Problematisierung: „Wie standen der Kronprinz und die Besitzerin von Schloss Tamsel zueinander? Wie eng oder wie weit waren die Grenzen ihrer Intimität gezogen?“ Fontane, der für seine Erörterung dieser Frage Friedrichs Briefe sowie ein in den Wanderungen vollständig zitiertes Sonett für Frau von Wreech heranzog, gelangt dann – auch nach einem „argwöhnische[m] Lesen zwischen den Zeilen“ – zu der festen Überzeugung, „dass das Ganze nichts anderes als die Huldigung eine etwas verliebten poetisierenden jungen Prinzen war“.

Verliebt und poetisierend: Kronprinz Friedrich [der Große], Ölgemälde von Antoine Pesne, etwa 1736
Quelle: Sammlung Burg Hohenzollern

Schloss Tamsel, Lithographie von Alexander Duncker, um 1770
Quelle: Sammlung Duncker

Empfindungen eingebüßt?

Auch in einer anderen Frage ändert der Autor seinen Text. Als es ein Vierteljahrhundert später, in der Zeit des Siebenjährigen Krieges, erneut zu einer Korrespondenz zwischen Friedrich und Luise kam, konstatiert Fontane einen charakterlichen Wandel der Frau von Wreech. Friedrich hatte sich nach der Schlacht bei Zorndorf 1758, bei der Tamsel von russischen Truppen geplündert und zerstört worden war, mit einem „Trostbrief“ an die Gutsbesitzerin gewandt. Auf dem königlichen Schreiben notierte Luise von Wreech, die auf einem der benachbarten Güter Zuflucht gefunden hatte: „Empfangen am 30. August 1758, in demselben Jahre, in dem ich alles verlor, das ich mein nannte.“ Diese Worte seien, meint Fontane, „charakteristischer als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen“. Zwar wäre es gewagt, aus der kurzen Notiz Schlüsse über die damalige Stimmung der Frau von Wreech zu ziehen, aber Fontane tut genau das, indem er unter Bezugnahme weiterer Briefe Friedrichs der Gutsherrin von Tamsel unterstellt, sie würde den vom Krieg „schwerbedrängten König“ mit Gesuchen für ihr zerstörtes Gut zu konfrontieren, die er (zunächst) ablehnen musste.

Fontanes Schlussfolgerungen stießen auf Kritik der Gräfin Sophie von Schwerin, der er das Tamsel-Manuskript vor dem Erstdruck in der Neuen Preußischen [Kreuz-]Zeitung (1862) vorgelegt hatte.

Zuvor hatte er seiner Freundin Mathilde von Rohr mitgeteilt, dass er eine Passage am Schluss des Aufsatzes noch einmal geändert habe. Diese „Stelle“ sei von der Gräfin beanstandet worden – „wie ich gern zugebe, mit Recht.“ Fontane erklärt, er hätte „um die Gegenstücke oder eine Art von Antithese stärker herauszubringen“ die schöne Frau von Wreech „vielleicht etwas kleiner gezeichnet, als die Billigkeit erheischt.“ Nun habe er die entsprechende Passage „gemildert und namentlich folgende Stelle ganz fortgelassen: ‚Er (der König) ist groß geworden, die schöne Frau aber nahezu kleinlich, engherzig, egoistisch. Im engen Sinn hat sich der Sinn verengert.‘ Diese stärkste Stelle fehlt jetzt ganz.“ Um nicht den ganzen Zusammenhang zu stören, habe er aber die vorangegangenen Zeilen stehen lassen: „‚Mit der Jugend hatte Frau v. Wreech auch die Poësie der Empfindung eingebüßt, und während die Jugendbriefe des Kronprinzen uns ungleich mehr mit der Empfängerin in Tamsel als mit dem Küstriner Verfasser sympathisieren ließen, wendet sich nun das Blatt.‘“ Fontane meint, dies sei „nicht zu streng“. Offenbar doch. Denn in den Oderland-Buchausgaben hat er die umstrittene Stelle erneut entschärft. Statt Frau von Wreech zu unterstellen, sie habe „die Poesie der Empfindung eingebüßt“, zeigt sich der Autor überraschend empathisch. Die Korrespondenz ließe keinen Zweifel darüber, „von welchen Empfindungen das Herz der freilich schwer heimgesuchten Frau damals ausschließlich erfüllt wurde.“

Schloss Tamsel (Rückseite) und Kirche, heute in der polnischen Ortschaft Dąbroszyn, 2019
Foto: Robert Rauh

Schloss noch erhalten

Nach dem Siebenjährigen Krieg blühte Gut Tamsel wieder auf. Luise von Wreech starb zwei Jahre vor Friedrich, den sie in der Kronprinzenzeit bereits als den „großen Friedrich“ bezeichnete. 1840 erhielt der König im Tamsler Park ein Denkmal, eine Nachbildung von Christian Daniel Rauchs „Victoria“. Das Schloss, das sich heute in der polnischen Ortschaft Dąbroszyn befindet, existiert noch. Aber es steht leer und droht zu zerfallen. Zwar konnte bis 2004 die untere Etage mit EU-Fördermitteln restauriert werden. Aber die Geldmittel reichten nicht für das gesamte Schloss. Nun wird ein privater Investor gesucht, das Schloss steht zum Verkauf.

Im Park existiert auch noch das Denkmal zu Ehren Friedrichs – durchlöchert von Einschüssen russischer Soldaten des Marschalls Schukows, der hier am Ende des Zweiten Weltkriegs Quartier bezog und die Eroberung Berlins vorbereitete. Tamsel ist gezeichnet von Geschichte – bis heute.

Quelle:

Theodor Fontane, Wundersame Frauen. Weibliche Lebensbilder aus den «Wanderungen durch die Mark Brandenburg», hrsg. von Gabriele Radecke und Robert Rauh, Manesse Verlag, Zürich 2019, S. 35f., 38–42.

Titelbild:

Schloss Tamsel, heute in der polnischen Ortschaft Dąbroszyn, 2019
Foto: Robert Rauh

Literatur:

Theodor Fontane, Das Oderland (Wanderungen durch die Mark Brandenburg), 1. Auflage, Verlag von Wilhelm Hertz, Berlin 1862.
Kapitel «Tamsel I», Unterkapitel: «Kronprinz Friedrich und Frau von Wreech»

Theodor Fontane, Das Oderland (Wanderungen durch die Mark Brandenburg), 4. Auflage («Wohlfeile Ausgabe»), Verlag von Wilhelm Hertz, Berlin 1892.
Kapitel «Tamsel I», Unterkapitel: «Kronprinz Friedrich und Frau von Wreech»

Theodor Fontane, Sie hatte nur Liebe und Güte für mich. Briefe an Mathilde von Rohr, hrsg. von Gotthard Erler, Berlin 2000.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert