Fontanes Glindow

Lage

Glindow, Ortsteil der Stadt Werder (Havel) im Landkreis Potsdam-Mittelmark

Erster Besuch Fontanes

13. Juli 1869

Aufzeichnungen im Notizbuch

A15 [13. Juli 1869]

C3 [17. Oktober 1869]

Erstdruck in einem Journal

Glindow; in: Vossische Zeitung. Sonntagsbeilage, Nr. 29, 16.7.1871

Erstveröffentlichung in den Wanderungen

Ost-Havelland, 1. Auflage 1873

 

Das Ufer voller Schornsteine: „Gruß aus Glindow“, Postkarte, um 1910
Quelle: Archiv Ziegelei-Museum Glindow

Was Fontane in „Havelland“ über Glindow schrieb …

Am Anfang ist es nur ein kleiner Hinweis. Fontane setzt ihn im Auftakt zum „Glindow“-Kapitel in Klammern, als handle es sich um eine Nebensächlichkeit: Was Werder für den Obstkonsum der Hauptstadt ist, das ist Glindow für den Ziegelkonsum. In Werder wird gegraben, gepflanzt, gepflückt – in Glindow wird gegraben, geformt, gebrannt; an dem einen Ort eine wachsende Kultur, an dem andern eine wachsende Industrie, an beiden (in Glindow freilich auch mit dem Revers der Medaille) ein wachsender Wohlstand. Ein paar Seiten weiter rückt Fontane diese Kehrseite der Medaille jedoch in den Mittelpunkt des Kapitels – in einem für die „Wanderungen“ ungewöhnlichen Ton. Ohne poetische Schminke werden die sozialen Folgen des Ziegeleigewerbes im Stil einer Reportage dargestellt.

Die „Glindower Herren“ würden versichern, „dass nichts abhärtender und nichts gesunder sei, als der Ziegeldienst in Glindow“: Ziegeleiarbeiter*innen vor dem Ringofen, Foto, ca. 1900
Quelle: Archiv Ziegelei-Museum Glindow

Am Ende des Glindow-Kapitels spitzt Fontane die Schilderung der sozialen Gegensätze zwischen Ziegeleibesitzern und -arbeitern derart zu, als würde er für den „Vorwärts“ schreiben: Am See hin, um die Veranden der Ziegellords rankt sich der wilde Wein, Laubengänge, Clematis hier und Aristolochia dort, ziehen sich durch den Parkgarten, Tauben stolzieren auf dem Dachfirst oder umflattern ihr japanisches Haus – aber diese lachenden Bilder lassen die Kehrseite nur um so dunkler erscheinen: die Lehmstube mit dem verklebten Fenster, die abgehärmte Frau mit dem Säugling in Loden, die hageren Kinder, die lässig durch den Ententümpel gehen. Es scheint, sie spielen; aber sie lachen nicht; ihre Sinne sind trübe wie das Wasser, worin sie waten und plätschern.

„Denken wir uns also eine gewöhnliche runde Torte, aus der wir das Mittel- oder Nußstück herausgeschnitten und durch eine schlanke Weinflasche ersetzt haben, so haben wir das getreue Abbild eines Ringofens“: Entwurf für einen ringförmigen Ziegelofen nach dem Patent von Friedrich Eduard Hoffmann, 1863

Quelle: Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie e. V. (Hrsg.): Die Geschichte der Ziegelherstellung, bearbeitet von Erwin Rupp und Günther Friedrich, 3. Aufl., Bonn 1993, S. 60.

Fontanes „Glindow“-Kapitel behandelt auch eine technische Innovation. Mitte des 19. Jahrhunderts meldete der Berliner Ingenieur Friedrich Eduard Hoffmann ein Patent zur „Erfindung eines ringförmigen Ofens zum ununterbrochenen Brennen aller Arten von Ziegeln“ an. Dieser Ringofen revolutionierte die Mauersteinherstellung. Er war – wie die erste Dampfmaschine auf der Pfaueninsel – ein Symbol für die Industrialisierung in Preußen. Fontane hat den Ringofen gesehen und so beschrieben, dass seine Funktionsweise auch von weniger technikaffinen Menschen verstanden wird.

„Denken wir uns also eine gewöhnliche runde Torte, aus der wir das Mittel- oder Nußstück herausgeschnitten und durch eine schlanke Weinflasche ersetzt haben, so haben wir das getreue Abbild eines Ringofens“: Historischer Ringofen in Glindow, 2022

Foto: Robert Rauh

Glindow 2.0

Was Sie in „Fontanes Havelland“ [2023] über Glindow erwartet … 

In Glindow ist die Zeit zurückgedreht. Weder Industriereviere noch Lehmhütten, geschweige denn rauchende Fabrikschornsteine beherrschen wie zu Fontanes Zeiten die Landschaft. Der Ort scheint zurückzuerhalten, was ihm durch die Industrialisierung genommen wurde: den vollen Reiz eines havelländischen Dorfes, hingestreckt zwischen See und Hügel. Dass die Straße, die sich zwischen Hügelkette und dem Glindower See hindurchschlängelt, „Alpenstraße“ heißt und direkt am Seeufer in den „Panoramaweg“ mündet, ist kein märkischer Scherz. Denn aus den Hügeln sind Berge geworden, die auf allen Karten als „Glindower Alpen“ gekennzeichnet sind. Sie sind ein künstliches Produkt der frühen Ziegeleiproduktion. Schon im 15. Jahrhundert begannen hier die Zisterziensermönche nach dem berühmten gelben Ton zu graben. Die abgetragene Erde wurde zu riesigen Wällen aufgetürmt. So entstand in Glindow aus märkischem Sand ein Gebirge.

Kein märkischer Scherz: Wegweiser zu den Glindower Alpen
Quelle: Archiv Ziegelei-Museum Glindow

In heutigen Reiseführern zählen die Touren in den Glindower Alpen, die 1995 zum Naturschutzgebiet erklärt wurden, zu den „mittelschweren Wanderungen“, für die eine „gute Grundkondition erforderlich“ ist. Sollte das einen Spaziergänger abschrecken, werden auf dem 119 Hektar großen Areal Gelegenheiten zum Pausieren geboten, um vom Belvedere Umschau zu halten, um sich an den Tafeln auf dem Naturlehrpfad weiterzubilden oder um eine echte Kaiserlinde zu bewundern.

Unser Ziel sind aber nicht die Glindower Alpen, an denen auch Fontane vorbei „wanderte“, sondern die von ihm besuchte Ziegelei am Ende der Alpenstraße – direkt am Glindower See. Wir „verraten“, warum Fontane gerade diese Ziegelei wählte und mit wem er sie am 13. Juli 1869 besuchte. Die Recherche vor Ort ist aufgrund der überlieferten Notizbuchseiten detailliert dokumentiert.

Punkte für Schornsteine: Lageplan vom Glindower See mit Ziegelei-Standorten, Fontanes Skizze (Notizbuch A15), 13. Juli 1869

Quelle: Digitale Notizbuchedition

Das Ufer voller Schornsteine: Blick auf die Ziegeleien am Glindower See, Luftbildaufnahme, 1936

Quelle: Archiv Ziegelei-Museum Glindow

Einst Zentrum der Mauerstein-Metropole: Blick auf die alte, neue Ziegelei mit Ringofen am Glindower See, 2022

Foto: Jonas Becker

Die alte Ziegelei wird überragt von einem schmucken achteckigen Turm, hinter dem für die Besucher ein großzügiger Parkplatz angelegt wurde. Der etwa zwanzig Meter hohe Turm symbolisiert die schöne Seite der Ziegeleigeschichte. Er ist ein eindrucksvolles Beispiel für den kunstvollen Ziegelbau und wurde 1892 –nach Fontanes Besuch – vom damaligen Ziegeleibesitzer Friedrich Krumwiede errichtet. Wozu er diente, ist nicht genau bekannt. Aber kommt hinein. Er beherbergt das „Märkische Ziegleimuseum“.

Die schöne Seite der Ziegelei-Geschichte: Turm auf der alten Ziegelei, in dem sich heute das Ziegelei-Museum befindet, 2022

Foto: Robert Rauh

Wir nehmen Sie nicht nur mit zu einem Rund-Gang in und auf den Turm, sondern führen Sie auch exklusiv in den alten, noch funktionstüchtigen Ringofen – gleich nebenan. Dort hat sich im Innern seit 150 Jahren nicht viel verändert. Auch die Funktionsweise ist dieselbe geblieben. Weil die Produktion zurzeit ruht (unser Glück), dürfen wir auf das Ofendach, von wo aus der Brennvorgang gesteuert wird. Ob der Ofen wieder hochgefahren wird, hängt von der Nachfrage der im alten Ringofen teuer hergestellten Ziegel ab. Harald Dieckmann, Inhaber und Geschäftsführer der „Neue Ziegel-Manufaktur Glindow UG“, zu welcher der alte Ringofen gehört, erklärt uns angesichts schwieriger Zeiten die unsichere Zukunft „seines“ Ofens. Hinzu kommt, dass er seinen Betrieb gern verkaufen möchte. Dieckmann (72) sucht händeringend einen Nachfolger (Stand 2023).

Durch senkrechte Kanäle wird die Kohle in die Brennkammern geschüttet: Auf dem Dach des Ringofens, 2022

Foto: Robert Rauh

Über Fontanes „Rückkehr“ in die Ziegelei berichten wir am Schluss unseres „Glindow“-Kapitels. Für die Jubiläumsausstellung zum 200. Geburtstag (2019) in der Petzower Kulturkirche schuf die Künstlerin Carmen Stahlschmidt eine Fontane-Büste. Nüchtern berichtet uns Brennmeister Jens Zwiezscher, wie die Fontane-Büste – zusammen mit Hunderten Ziegeln – unter seiner Anleitung in der zugemauerten Kammer Nr. 8 bei circa 1.080 Grad 24 Stunden lang gebrannt wurde. Fontane kam zwar frisch aus dem Ofen; reibungslos ging der Prozess allerdings nicht vonstatten.

Nicht ohne Komplikationen: Fontane-Büste im Glindower Ringofen, 2019

Foto: Doris Patzer

Erlebnis Glindow

Was man in Glindow sehen, erleben und genießen kann …

Lage

Glindow, das zur „Blütenstadt“ Werder (Havel) gehört, liegt direkt am Glindower See. Der Ort ist am besten mit dem Auto zu erreichen – über die B5 und A10 in einer Stunde.

Sehenswürdigkeiten

Das Märkische Ziegelei-Museum, das vom Förderverein Historische Ziegelei Glindow e.V. betrieben wird, informiert anschaulich über die Geschichte des Ziegeleigewerbes und in einer Extra-Ausstellung über „Historische Ziegelbauten in der Mark Brandenburg“. Seit 2022 sind auch Faksimiles von Fontanes Notizen über Glindow (1869) zu sehen.

Wer wandern möchte, besteigt die Glindower Alpen. Das rund 119 Hektar große Naturschutzgebiet erstreckt sich südöstlich von Glindow und nordwestlich von Petzow. Die Wanderwege sind ausgeschildet, Schautafeln informieren über Flora und Fauna.

Gastronomie

Das italienische Restaurant Trattoria Da Amici in der Luise-Jahn-Straße 2 verspricht „Mittelmeerromantik“.

Führung durch das Museum im Ziegeleiturm mit Barbara Czycholl (87), Schatzmeisterin des Fördervereins „Historische Ziegelei Glindow e.V.“, am 18. April 2022

Foto: Robert Rauh

Literatur

  • Glindow; in: Gabriele Radecke, Robert Rauh: Fontanes Havelland. Neue Wanderungen durch die Mark Brandenburg, BeBra Verlag, Berlin 2023.
  • Glindow; in: TheodorFontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 3: Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg, hrsg. von Gotthard Erler und Rudolf Mingau, Große Brandenburger Ausgabe. 2. Aufl., Aufbau-Verlag, Berlin 1994.
  • Fontane, Theodor: Notizbücher. Digitale Edition, hrsg. von Gabriele Radecke. Göttingen 2015–2020: Notizen zu Glindow (A15)
  • Ziegeleigeschichte der Region Glindow, Werder, Petzow in sechs Jahrhunderten, hrsg. vom Förderverein Historische Ziegelei Glindow e.V. Wir machen Druck GmbH, Potsdam 2020.