Fontanes Ganzer

Gemeinde [heute] Wusterhausen (Dosse)
Erster Besuch Fontanes 1861
Aufzeichnungen im Notizbuch A 1
Erstdruck in einem Journal  /
Erstveröffentlichung in den „Wanderungen“ „Die Grafschaft Ruppin“

1. Auflage, 1862

Postkarte um 1930. Quelle: Regionalverlag Ruppin

Was Fontane in seiner „Grafschaft Ruppin“ über Ganzer schrieb …

Qual der Wahl

Fontane hatte die Qual der Wahl. Auf welcher Seite sollte er anhalten, nachdem er am 11. August 1861 die Ortsgrenze von Ganzer passiert hatte? „Wir […] schwanken“, schreibt er in den „Wanderungen“, „ob wir unser Fuhrwerk nach links oder rechts hin lenken sollen, denn scharf einander gegenüber erblicken wir zwei Krugwirtschaften, jede mit dem üblichen Vorbau, jede mit einer Anzahl Stehkrippen und jede mit einem Wirt in der Tür.“

Ganzer hatte nicht nur zwei Gaststätten („Krüge“), sondern auch zwei Herrenhäuser und zwei Grabgewölbe zu bieten. Dass Fontane alles doppelt vorfand, war einer topografischen Besonderheit des Ortes geschuldet. Es sei diese „deutlich sichtbare Zweiteilung“, die Ganzer für ihn „doppelt interessant“ werden lasse, teilte er seiner Freundin Mathilde von Rohr unmittelbar nach seinem Besuch im „reizenden“ Ganzer mit. Der Fahrweg sei die Grenze, „was links liegt, ist alt-Rohrscher, was rechts liegt, alt-Jürgaßscher Besitz“. Nur die „Dorfgasse samt Kirchhof und Kirche“ gehörten allen. In seinem Notizbuch hat er diese ungewöhnliche „Zweiteilung“ Ganzers in einem Lageplan skizziert.

Fontanes Skizze von 1861 im Notizbuch. Quelle: Digitale Notizbuchedition

Kirche Ganzer, Postkarte 1950er Jahre.
Quelle: Archiv Rauh

Durchs Dorf

Fontane berichtet, sich „ohne Wissen und Wollen“ für ein Besuch im Wirtshaus auf der Rohrschen Seite entschieden zu haben. Und beschreibt im Anschluss seine Ortsbegehung, die ihn entlang der „malerische[n] Dorfgasse“ am Rohrschen und Jürgasschen Herrenhaus, an der Kirche und am Predigerhaus vorbeiführten. Genauer beschreibt er die Jürgaßsche Kirchengruft und das Jürgaßsche „Monument“ – der traurige Engel von Ganzer.

Während er am Rohrschen Herrenhaus vorbeiläuft, wird er im Jürgaßschen empfangen. Hier wurde er nicht nur mit Milch und Blaubeeren versorgt, sondern auch mit Informationen über „Frau von Jürgaß, geborene von Zieten“, die er von Tante Helene erhält – eine fiktive Gestalt [vgl. „Fontanes Ruppiner Land“, S. 283f.].

Inder dritten Auflage (1875) ergänzt er die „Charakterskizze“ der Frau von Jürgaß mit einer „Schilderung“, die ihm „Frau von Romberg, geborne Gräfin von Dönhoff“ zur Verfügung gestellt hatte.  

Ganzer 2.0

Was Sie in „Fontanes Ruppiner Land“ über Ganzer erwartet … 

Heute hat man keine Wahl mehr. Die Zweiteilung Ganzers ist längst Geschichte. Weder die Wirtshäuser noch das Gutshaus der Familie von Jürgaß existieren noch. Bleibt also nur das „Rohrsche Herrenhaus“. Dem alten „Fachwerkbau“ begegne ich in guter „Stimmung“; er schaut „gemütlich“ drein. Die weiße Fassade mit den filigranen Sprossenfenstern und den schwarz gestrichenen Balken bildet den passenden Dresscode für einen lauen Sommerabend. Und die roten Biberschwänze leuchten in der untergehenden Sonne wie ein frisch gewaschener Hut. Als stünde das Casting für einen Märchenfilm der DEFA bevor.

Hier wohnen die Mason Browns. Ein außergewöhnliches Paar. Er, ein in Südafrika geborener Engländer, ist inzwischen Ortsvorsteher. Und sie, eine Mecklenburgerin, betreibt auf dem ehemaligen Rohrschen Anwesen eine Kinder- und Jugend-Kunstakademie. Die Mason Browns, die sich natürlich Fontane verbunden und verpflichtet fühlen, habe ich besucht und in „Fontanes Ruppiner Land“ porträtiert.

Außerdem erfährt der Leser das Schicksal der Cabrio-Kirche und des traurigen Engels von Ganzer – und wer „Tante Helene“ tatsächlich war.

Das ehemalige Rohrsche Herrenhaus, 2018. Foto: Archiv Rauh

Erlebnis Ganzer

Was man in Ganzer sehen, erleben und genießen kann …

Lage:

Ganzer befindet sich acht Kilometer östlich der Kleinstadt Wusterhausen (Dosse), der es seit 1997 von Amts wegen zugeordnet ist.

Sehenswürdigkeiten:

Das Rohrsche Herrenhaus existiert noch. Es befindet sich in Privatbesitz der Familie Mason Brown, die hier eine „Kinder- und Jugendkunstakademie Gutshof Ganzer e.V.“ unterhalten.

http://www.kunstakademie-ganzer.de/Home

Zugänglich ist die Kirchenruine, der das Dach fehlt („Cabrio-Kirche“). Seit einigen Jahren finden hier nicht nur wieder Gottesdienste statt, sondern auch Konzerte, Lesungen und Ausstellungen.

Das Denkmal der Familie Rohr-Wahlen-Jürgaß, 2018. Foto: Archiv Rauh

Vor der Kirche steht das cirka sechs Meter hohe Eisengussdenkmal der Familie Rohr-Wahlen-Jürgaß, das Fontane beschrieb („Monument“) und das in den 1990er Jahren saniert wurde. Ob das Kunstdenkmal von Schinkel oder einem seiner Schüler geschaffen wurde, konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

Gastronomie:

Fehlanzeige. Die von Fontane erwähnten „Krüge“ gibt es nicht mehr. Alternative: „Bäckerei Vollkern“ im benachbarten Rohrlack. Ein Eldorado für Brotfreunde.

https://baeckerei-vollkern.de/

Wandern nach Fontanes Notizen

Die „Zweiteilung“ Ganzers. Beitrag von Gabriele Radecke und Robert Rauh (2019)

https://www.maz-online.de/Lokales/Ostprignitz-Ruppin/Kyritz/Wandern-nach-Fontanes-Notizen-zu-Besuch-in-Ganzer